Panorama

Der „schönste Arbeitsplatz“ - Wald-Kran dient der Forschung

Von einem 45 Meter hohen Drehkran aus überwacht ein Wissenschaftsteam in einem Wald seine Baum-Patienten. Die Arbeit könnte Wäldern auch anderswo zugutekommen und ist nebenbei „wunderschön“.

Von Christopher Hirsch (Text) und Stefan Sauer (Fotos), dpa

06.10.2025

Für Pia Kräft ist die Gondel am 45 Meter hohen Drehkran, der zu Forschungszwecken in einem Wald bei Demmin steht, der „schönste Arbeitsplatz, den man sich vorstellen kann“.Stefan Sauer/dpa

Für Pia Kräft ist die Gondel am 45 Meter hohen Drehkran, der zu Forschungszwecken in einem Wald bei Demmin steht, der „schönste Arbeitsplatz, den man sich vorstellen kann“.Stefan Sauer/dpa

© Stefan Sauer/dpa

Fast geräuschlos gleitet Pia Kräft über die Buchen- und Eichenkronen hinweg. Am Horizont ist der Turm der St. Bartholomaei-Kirche von Demmin zu sehen. Der Ruf eines Kranichs ist zu hören. „Ist das nicht wunderschön?“, fragt die Wissenschaftlerin der Technischen Universität Berlin, während sie in luftiger Höhe in einem Arbeitskorb an einem Drehkran hängt - mitten im Wald.

„Das ist der schönste Arbeitsplatz, den man sich vorstellen kann“, schwärmt Kräft. Man fliege durch die Baumkronen zu den „Messpatienten“. Die Messpatienten, das sind Bäume, denn der 45 Meter hohe Drehkran inmitten des Wendeforstes bei Demmin dient zur Überprüfung ihrer Vitalität, also vereinfacht gesagt der Frage: Wie geht es den Buchen, Eichen, Lärchen, Douglasien und Fichten ringsherum?

Mindestens im Nordosten handelt es sich nach Aussage von Kai Jütte von der Landesforstanstalt Mecklenburg-Vorpommern zum am besten vermessenen Waldstück. Auf einem Hektar seien rund 400 Bäume erfasst. 40 sogenannte Intensivbäume würden besonders genau untersucht. 

Wieso sind Blätter eigentlich grün?

Innerhalb der abgezäunten Fläche ragen überall Kabel aus dem Boden, Temperatursensoren stehen wie kleine Pilze umher, Trichter fangen herabfallendes Laub und Nadeln auf. 

Während Röhren im Waldboden es möglich machen, mit einem Scanner das Wurzelwachstum zu erfassen, geht Kräft vom Kran aus mit einem Spektrometer auf Tuchfühlung mit den Blättern. Sie misst, welche Lichtanteile absorbiert und welche reflektiert werden, um Rückschlüsse auf Stoffe im Blatt zu schließen.

Wieso sind die Blätter eigentlich grün? Grünes Licht bräuchten die Blätter für die Photosynthese nicht, erklärt Kräft. Da sie diese grünen Lichtanteile nicht wie die benötigten Rot- und Blauanteile absorbierten, sondern reflektierten, sei der Wald grün.

Deutsche Wälder mit Problemen

Seit 2022 steht der Kran in dem Wald, zuvor hatte ihn das Potsdamer GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung schon in der Nähe für ein Projekt genutzt. Das GFZ ist ebenso am aktuellen Projekt namens FeMoPhys beteiligt wie der Landesbetrieb Forst Brandenburg und die Universität Greifswald.

Seit 2022 steht im Wendeforst bei Demmin ein Drehkran. Er wird zu Erforschung des Waldes genutzt.Stefan Sauer/dpa

Seit 2022 steht im Wendeforst bei Demmin ein Drehkran. Er wird zu Erforschung des Waldes genutzt.Stefan Sauer/dpa

© Stefan Sauer/dpa

„In Deutschland haben wir sehr, sehr viele Probleme mit dem Wald“, sagt Jütte von der Landesforstanstalt Mecklenburg-Vorpommern. In MV setzten Trockenheitsperioden etwa den großen Buchenbeständen zu. Fichten litten wie überall in Deutschland unter Borkenkäfern.

Das Projekt soll dabei helfen, Veränderungen des Waldes besser zu erkennen und zu verstehen. Effiziente Überwachung sei wegen der großen Waldflächen nur aus der Luft etwa mit Satelliten oder Flugzeugen zu bewältigen, sagt Jütte. Um derartige Bilder aber besser verstehen und interpretieren zu können, werden sie bei Demmin mit detaillierten Daten zum Zustand der Bäume kombiniert, gemessen werden etwa Wasser- und Saftfluss, Höhe, Dicke, Wurzelwachstum, Blattinhaltsstoffe und einiges mehr.

Von der „Problembuche“ bis zum „Mediterranen“

Einmal im Jahr stehe für die Intensivbäume eine Visite an, für die alle Ergebnisse je Baum zusammengetragen würden. Teils hat das Team den Patienten sogar Namen gegeben: Die „Problembuche“ etwa ist besonders hoch, verliert aber stark Blätter. Oder die „Dominante“ - die einzige Buche im Nordteil der Fläche, die sich zwischen vielen Fichten behaupten muss.

Besonders interessant ist der „Mediterrane“. Dabei handelt es sich um die höchste Lärche im Untersuchungsgebiet und den einzigen Baum mit mediterranem Wuchsverhalten. Zunächst habe das Team fehlerhafte Daten vermutet, erklärt Jütte. Es habe sich aber herausgestellt, dass der Baum im Sommer das Wachstum eingestellt, also eine Art Siesta gemacht habe, die eher für den Mittelmeerraum typisch sei. Erst mit beginnendem Regen sei der Baum weitergewachsen. „Das war für uns das erste Mal in Mecklenburg-Vorpommern“, sagt er zu der Beobachtung.

Nach Aussage Kai Jüttes von der Landesforstanstalt Mecklenburg-Vorpommern handelt es sich bei der Forschungsfläche im Demminer Wendeforst um das am besten vermessenen Waldstück mindestens im Nordosten.Stefan Sauer/dpa

Nach Aussage Kai Jüttes von der Landesforstanstalt Mecklenburg-Vorpommern handelt es sich bei der Forschungsfläche im Demminer Wendeforst um das am besten vermessenen Waldstück mindestens im Nordosten.Stefan Sauer/dpa

© Stefan Sauer/dpa

Jütte hofft, noch mehr darüber zu erfahren, wie sich die Bäume an die Klimaveränderung anpassen. Grundsätzlich gelte: „Wir haben wieder festgestellt, dass jeder Baum hier in diesem Projekt, den wir intensiv beobachten, eigene Abwehrmechanismen zeigt, dass jeder Baum hier unterschiedlich auf die Einflüsse von außen reagiert.“

Forscherin: Kranfahren macht „ganz viel Spaß“

Das Interesse für das Projekt sei deutschland- und europaweit groß. „Wir haben angefangen mit einem Forschungsantrag und jetzt haben sich schon mehrere Forschungsinstitute aus ganz Europa hier eingeklinkt, ob sie hier Forschung an dem Standort machen können. Und dieser Standort ist für Mecklenburg-Vorpommern und für Deutschland einzigartig.“

Europaweit gebe es zwar neun Kräne in vergleichbarem Einsatz. Der in Demmin sei aber nicht nur der nördlichste. Auch die komplexe Ausstattung und die Zusammensetzung des Baumbestandes machten den Standort besonders.

FeMoPhys läuft noch bis 2027. Kräft hofft wie ihre wissenschaftlichen Mitstreiter auf ein Anschlussprojekt für die Baumaschine mitten im Wald. Einen Kranführerschein hat sie jedenfalls. Die erste Fahrt habe noch „sehr doll gependelt“. Man lerne aber schnell, wie man lenken müsse, um die Gondel auszugleichen. „Es ist nicht schwer, würde ich sagen. Aber es macht ganz viel Spaß.“

Fast lautlos gleitet der Arbeitskorb über die Baumkronen, wenn sich der Kran dreht.Stefan Sauer/dpa

Fast lautlos gleitet der Arbeitskorb über die Baumkronen, wenn sich der Kran dreht.Stefan Sauer/dpa

© Stefan Sauer/dpa

Die von dem Wissenschaftsteam erfasste Fläche umfasst etwa einen Hektar und rund 400 Bäume, rund 40 davon werden besonders detailliert überwacht.Stefan Sauer/dpa

Die von dem Wissenschaftsteam erfasste Fläche umfasst etwa einen Hektar und rund 400 Bäume, rund 40 davon werden besonders detailliert überwacht.Stefan Sauer/dpa

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Zu den Messinstrumenten gehören auch Trichter am Boden, die Blätter und Nadeln auffangen.Stefan Sauer/dpa

Zu den Messinstrumenten gehören auch Trichter am Boden, die Blätter und Nadeln auffangen.Stefan Sauer/dpa

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