Politik Inland

Urteil: Verkäufer des Schabowski-Zettels nicht länger anonym

Das Oberverwaltungsgericht in NRW gibt dem Auskunftsrecht der Presse Vorrang: Der Verkäufer des Schabowski-Zettels darf nicht anonym bleiben. Ob der Name veröffentlicht wird, entscheidet der Kläger.

Von dpa

16.12.2025

Der Journalist Hans-Wilhelm Saure (vorne) fordert vom Haus der Geschichte in Bonn Informationen zum berühmten Schaboski-Zettel. Dieter Menne/dpa

Der Journalist Hans-Wilhelm Saure (vorne) fordert vom Haus der Geschichte in Bonn Informationen zum berühmten Schaboski-Zettel. Dieter Menne/dpa

© Dieter Menne/dpa

Das Haus der Geschichte in Bonn muss einem Urteil zufolge der Presse Auskunft darüber geben, wer den berühmten Zettel von Günter Schabowski verkauft hat. Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) des Landes Nordrhein-Westfalen in einem Berufungsverfahren entschieden. In dem Streit fordert der Chefreporter einer überregionalen Tageszeitung vom Haus der Geschichte die Namen der Verkäufer für seine Recherche zu einem Dokument der Zeitgeschichte. 

Zu Recht, wie das OVG jetzt entschieden hat. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Gericht in Münster ließ wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu. 

Politbüromitglied Günter Schabowski hatte am 9. November 1989 bei einer Pressekonferenz neue Reiseregelungen für DDR-Bürger verkündet und Details dazu von einem Zettel abgelesen. Kurz darauf öffnete sich ungewollt von der Staatsführung die Mauer. Das Haus der Geschichte kaufte das Original für seine Ausstellung für 25.000 Euro. Aber: Dies gelang nur mit der Zusage, dass die Verkäufer anonym bleiben.

Verantwortung beim Journalisten

Nach Ansicht des Gerichts kann dies nicht so bleiben. Die Presse habe Anspruch auf die Information. Dies hatte auch das Verwaltungsgericht Köln in der Vorinstanz so entschieden. Allerdings liege es in der Verantwortung des recherchierenden Journalisten, ob die Information zur Person auch veröffentlicht werde. 

Die Begründung für das OVG-Urteil: Das Informationsinteresse der Presse überwiegt die Vertraulichkeitsinteressen des Verkäufers und der beklagten Stiftung. „Die Weitergabe der in Rede stehenden personenbezogenen Daten an den Kläger betrifft allein die Sozialsphäre des Zweitverkäufers“, sagte der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung. Besondere, über den Wunsch nach Anonymität hinausgehende Gründe liegen laut OVG nicht vor. 

Der Vizepräsident und Vorsitzende Richter Jörg Sander erläutert die juristischen Probleme des Falls. Dieter Menne/dpa

Der Vizepräsident und Vorsitzende Richter Jörg Sander erläutert die juristischen Probleme des Falls. Dieter Menne/dpa

© Dieter Menne/dpa

Ungewollt die Mauer geöffnet

Der Zettel zählt im Haus der Geschichte in Bonn in der neu gestalteten Ausstellung zu den Publikumslieblingen. Schabowski hatte sich in der Pressekonferenz an seinen Notizen orientiert, sich dann aber bei einer Nachfrage verhaspelt. Auf die Frage, ab wann die Regelung gelte, sagte er: „Sofort, unverzüglich“. Kurz darauf öffnete sich in Berlin ungewollt die Mauer. Viele Deutsche haben die Bilder der Pressekonferenz mit seiner Aussage noch vor Augen. Seit Jahren fordert der Reporter für seine Recherche Informationen zu dem Original. 

Im Streit zwischen dem Reporter und dem Haus der Geschichte ist am Oberverwaltungsgericht noch ein weiteres Verfahren anhängig. Der Kläger versucht neben dem Presserecht auch über das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) ans Ziel zu kommen. Hier muss ebenfalls noch der 15. Senat entscheiden. Einen Termin gibt es bislang nicht. In der Vorinstanz hatte das Verwaltungsgericht Köln dem Kläger recht gegeben und die Berufung an das OVG zugelassen.

Fehlendes Bundesgesetz

Der Vorsitzende Richter Jörg Sander beklagte zu Beginn der mündlichen Verhandlung, dass der Gesetzgeber seit Jahren kein Bundespressegesetz geschaffen habe, mit dem Ansprüche gegen Bundesbehörden durchgesetzt werden könnten. Derzeit müsse die Rechtsprechung das im Grundgesetz verankerte individuelle Grundrecht auf Datenschutz mit dem Presserecht abwägen. 

Verkäufer erklärt Grund für Anonymität

Ein Geheimnis wurde in der mündlichen Verhandlung gelüftet. Nach Schilderung von OVG-Vizepräsident Sander erklärte sich einer der Verkäufer in einem Brief 2022, warum der anonym bleiben will. Darin heißt es, dass er oder sie sich 1989 im Umkreis der sogenannten DDR-Nomenklatura, also den Führungskreisen, bewegt habe. Nach dem Mauerfall habe der Verkäufer sich in der Bundesrepublik mit Familie ein neues und unauffälliges Leben aufgebaut. Daran solle sich nichts ändern. Diese Erklärung lag bei der Entscheidung in der Vorinstanz durch das VG Köln noch nicht vor.

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