„Totengräberstimmung“ vor Werksschließung in Fulda
125 Jahre Industriegeschichte enden: Fulda verliert sein Reifenwerk. Drohen an anderen deutschen Standorten weitere Einschnitte?

Am 30. September 2025 wird der Betrieb an dem traditionsreichen Standort eingestellt. (Foto-Produktion)Michael Bauer/DPA
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Wo seit Jahrzehnten Tausende Beschäftigte gearbeitet haben, verstummen bald die Maschinen: Am 30. September schließt der Reifenhersteller Goodyear sein Werk in Fulda. Damit endet ein 125-jähriges Stück Industriegeschichte in der osthessischen Stadt.
Goodyear begründet die Werksschließung mit Überkapazitäten in Europa und einem hohen Kostendruck. Der Schritt reiht sich in eine Serie von Stellenstreichungen ein: Schon 2019 hatte der Konzern in Hanau rund 600 Arbeitsplätze abgebaut. Auch im brandenburgischen Fürstenwalde will Goodyear schrittweise bis Ende 2027 die Reifenproduktion einstellen.
„Das macht einen traurig“
„Es ist ein heftiger Einschnitt, wenn so viele Menschen in so kurzer Zeit ihren Arbeitsplatz verlieren. Das gilt für die gesamte Region“, sagt Anne Weinschenk, Leiterin des Bezirks Mittelhessen der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE), der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf den Standort Fulda. In dem Werk herrsche in den letzten Tagen vor der Schließung „Totengräberstimmung“, fügt sie hinzu. „Wo früher über tausend Leute gearbeitet haben, ist jetzt alles weg. Das macht einen traurig.“
Wie viele der einst rund 1.050 Beschäftigten des Fuldaer Werks an den Goodyear-Standort Hanau gewechselt sind oder anderswo einen neuen Job gefunden haben, wollte das Unternehmen nicht sagen. Viele der betroffenen Mitarbeiter seien in eine eigens eingerichtete Transfergesellschaft übergegangen, in der sie bei der Suche nach einer neuen Beschäftigung unterstützt werden, sagte Goodyear-Sprecher Stephan Ester. „Darüber hinaus haben wir uns gemeinsam mit den Sozialpartnern auf faire Lösungen geeinigt, um unsere Mitarbeiter in dieser wichtigen Übergangsphase zu unterstützen.“
Sorge: Noch nicht der letzte Einschnitt
Die Gewerkschaft wertet den Sozialplan, den sie zusammen mit dem Betriebsrat nach Bekanntgabe der Schließung mit dem Konzern für die betroffenen Beschäftigten aushandeln konnte, als Erfolg. Weinschenk verweist darauf, dass Goodyear neben der Werksschließung in Fulda auch die Reifenproduktion in Fürstenwalde beenden und zusätzlich viele Stellen im Verwaltungsbereich in Hanau streichen oder ins Ausland verlagern will. „Es ist zu befürchten, dass die Schließung des Werks in Fulda noch nicht der letzte Einschnitt bei Goodyear ist“, sagte die IGBCE-Bezirkschefin.
Der Glaube der Beschäftigten an das Unternehmen sei auch an den anderen Goodyear-Standorten in Hanau, Wittlich (Rheinland-Pfalz) und Riesa (Sachsen) stark geschwunden ist. „Jeder erwartet fast schon, der Nächste zu sein. Das ist eine unschöne Entwicklung“, sagt sie. Goodyear wollte sich auf die Frage nach möglichen weiteren Stellenstreichungen nicht äußern.
Gespräche über Zukunft des Werkgeländes dauern an
Was genau mit dem Areal der „Gummi“, wie das Reifenwerk von den Fuldaern genannt wird, ist unklar. „Im Oktober wird mit der Demontage der Produktionsanlagen begonnen werden“, sagte der Goodyear-Sprecher. Diese Arbeiten werden voraussichtlich bis Ende März 2026 abgeschlossen sein. „Zum jetzigen Zeitpunkt können wir keine Aussagen zur Zukunft des Werksgeländes machen, da die Gespräche hierzu noch andauern“, ergänzte er.