Schuhkarton-Streit: Warum Deichmann wegen Müll-Kosten klagt
Die Schuhe passen, ab zur Kasse. Aber was tun mit dem Karton - mitnehmen oder dalassen? Die meisten lassen ihn da, sagt der Schuhhändler Deichmann - und möchte raus aus einem teuren Entsorgungssystem.
Da sind sie ja, die Schuh-Kartons! Die Pappbehältnisse stehen im Zentrum eines Rechtsstreits.Monika Skolimowska/dpa
© Monika Skolimowska/dpa
Mit einer Klage gegen eine Behörde hat der Schuhhändler Deichmann Kosten für die Entsorgung von Schuhkartons drücken wollen. Doch daraus wurde nichts, das Gelsenkirchener Verwaltungsgericht wies die Klage ab (Aktenzeichen 9 K 539/22). Was Deichmann an dem Entsorgungssystem bemängelt - und warum der Prozess auch etwas mit Schuhpreisen zu tun hatte. Die wichtigsten Fragen im Überblick.
Was ist das Problem?
Rund 90 Millionen Paar Schuhe hat Deichmann im vergangenen Jahr in Deutschland verkauft. Gelagert werden die Schuhe in Papp-Kartons. Aber was passiert nach dem Kauf mit ihnen? Typischerweise bleiben sie im Shop und der Kunde nimmt nur die Schuhe mit, heißt es von Deichmann.
Obwohl sich Deichmann selbst um die Entsorgung der im Shop verbliebenen Kartons kümmert und über eigene Wege recycelt, muss der Schuhverkäufer Geld an einen Mülldienstleister zahlen, ein „duales System“, was die Abholung, Sortierung und Wiederverwertung von Abfall an den Haushalten der Verbraucher organisiert. Das hält Deichmann für unsinnig, schließlich landeten dort nur recht wenige Kartons - die meisten seien ja im Geschäft geblieben.
Für diese Lizenzierungspflicht - also die Pflicht zur Bezahlung besagter Mülldienstleister - ist wiederum die Zentrale Stelle Verpackungsregister (ZSVR) zuständig, eine Überwachungsbehörde aus Osnabrück. Sie kontrolliert, ob alle Inverkehrbringer von Verpackungen auch für die Abholung, Sortierung und Aufbereitung des Mülls aufkommen, der beim Endverbraucher in der Mülltonne gelandet ist, bei Papier und Pappe also in der Blauen Tonne.
Deichmann wollte von der Zahlungspflicht für Kartons von Eigenmarken befreit werden. „Es geht um eine halbe Million Euro, das sind keine Peanuts“, sagte Deichmann-Anwältin Claudia Schoppen über die finanziellen Folgen der Lizenzierungspflicht für ihre Firma. Nicht nur Deichmann, sondern die gesamte Schuhbranche leide unter der Problematik, sagt Axel Augustin vom Bundesverband des Deutschen Textil-, Schuh- und Lederwareneinzelhandels (BTE).
Was sagt die Behörde?
Die ZSVR hält die Kartons für „systembeteiligungspflichtig“, schließlich landeten die Kartons „überwiegend“ beim privaten Endverbraucher, zumal die über den Online-Shop versandten Schuhkartons ja komplett beim Konsumenten blieben. Dabei stützt die Behörde sich auf eine Studie der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM). Vor dem Gerichtsurteil gab sich die ZSVR gelassen. Das Urteil schaffe Rechtssicherheit und Klarheit für alle Beteiligten und stärke gleiche Wettbewerbsbedingungen, hieß es von der Behörde.
Was war der Knackpunkt des Schuhkarton-Streits?
GVM-Marktforscher Kurt Schüler stellte vor Gericht ein Gutachten vor, das er im Auftrag des Gerichts erarbeitet hatte. Der Erhebung zufolge landen inzwischen rund 62 Prozent der Schuhkartons beim Kunden - entweder nimmt er sie mit oder sie werden nach einer Online-Bestellung zu ihm geschickt. Das waren etwa acht Prozentpunkte mehr als bei einem anderen GVM-Gutachten von 2020. Diese Entwicklung war ungünstig für Deichmann - erst bei weniger als 50 Prozent wäre die Firma wohl von der Zahlungspflicht befreit worden.
Knackpunkt des Verfahrens war letztlich die Frage, ob das Gutachten valide ist. Deichmann-Anwältin Schoppen verneinte das: Das Gutachten sei nicht repräsentativ und nicht aussagekräftig. Ihr Antrag, das Gericht möge eine Forsa-Umfrage in Auftrag geben für präzisere Erkenntnisse, wurde abgelehnt. Schoppen verwies auf eine Erhebung von Deichmann selbst, der zufolge etwa 60 Prozent der Kartons im Laden bleiben. Der Vorsitzende Richter Manfred Klümper hielt diese Firmenangabe allerdings für nicht relevant, aus seiner Sicht war die GVM-Marktstudie sehr wohl aussagekräftig.
Was könnte sich für den Verbraucher ändern?
Deichmann moniert, dass die Firma doppelt zahle: einmal für das eigene Abfallsystem und einmal über die Kosten für das duale System, obwohl dieses „faktisch nicht belastet“ werde mit Karton-Müll von Deichmann. Das seien „Kosten, die am Ende auch die Verbraucher treffen“, heißt es von der Firma. „Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist das weder gerecht noch sachlich begründbar.“ Deichmann hat seinen Firmensitz in Essen, was im Zuständigkeitsbereich des Gelsenkirchener Verwaltungsgerichts liegt.
BTE-Verbandsgeschäftsführer Augustin weist darauf hin, dass die haushaltsnahe Entsorgung deutlich teurer sei als die Entsorgung von Schuhkartons, die als Transportverpackungen im Geschäft bleiben und von einem Dienstleister abgeholt werden. Die Lizenzierungspflicht erhöhe die Kosten innerhalb der Schuhbranche und mache Schuhe damit teurer, sagt er. Im Umkehrschluss heißt das: Hätte sich Deichmann gegen die Behörde durchgesetzt, hätten die Preise für Schuhe etwas sinken oder zumindest stabil bleiben können.
Wie geht es anderen Firmen?
Deichmann war der erste Schuhhändler, der vor Gericht zog, um sich von den Müllkosten befreien zu lassen. Vorher hatten es schon Firmen aus anderen Branchen versucht - die meisten hatten eine Abfuhr bekommen.
Einige Beispiele: Ein Lebensmittelhersteller wollte die Eimer, in denen Mayonnaise aufbewahrt wird, von der Systempflicht und damit von den Zusatzkosten ausgenommen haben, doch das Verwaltungsgericht Osnabrück wies die Klage ab.
Ein Hersteller von Schnullern scheiterte ebenfalls mit dem Vorhaben, Schnuller-Boxen auszunehmen. Begründung des Osnabrücker Verwaltungsgerichts: Schnuller-Boxen seien selbst keine Waren, sondern eben nur Verpackungen, mit denen Schnuller verkauft werden.
Erfolg hatte hingegen die Klage eines Seifenblasen-Herstellers, der das Behältnis, in dem auch der Blasring ist, nicht als bloße Verpackung, sondern als Teil des Spielzeugs einstufte und sich damit vor dem Osnabrücker Verwaltungsgericht durchsetzte.