Studie: Hamburger Lehrkräfte arbeiten mehr als vorgesehen
Lehrer müsste man sein, mittags Feierabend und obendrauf gibt’s noch sechs Wochen Sommerferien. Eine Studie räumt mit dieser Mär auf. Tatsächlich arbeiten Lehrkräfte mehr als normale Arbeitnehmer.

Ein Viertel der Vollzeitlehrkräfte in Hamburg arbeitet laut einer Studie mehr als gesetzlich erlaubt. (Symbolbild)Julian Stratenschulte/dpa
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Hamburgs Lehrkräfte arbeiten laut einer Studie deutlich mehr als ein durchschnittlicher Tarifbeschäftigter. So kommen Vollzeitlehrerinnen und -lehrer in der Hansestadt Woche für Woche auf 41 Stunden und 56 Minuten statt der eigentlich vorgesehenen 40 Stunden, wie Studienleiter Frank Mußmann von der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Universität Göttingen sagte.
735 Lehrkräfte erfassten detailliert ihre Arbeitszeit
Für die Untersuchung haben den Angaben zufolge 735 Lehrerinnen und Lehrer ihre Arbeitszeit im zweiten Schulhalbjahr 2023/2024 detailliert erfasst, wodurch die Stadt nun erstmals wissenschaftliche Daten zur tatsächlichen Arbeitszeit ihrer Lehrkräfte habe. Für die Studie befragt wurden den Angaben zufolge Lehrkräfte von 67 Stadtteilschulen und 65 Gymnasien.
Das Ergebnis: Statt in dem gemessenen Schulhalbjahr wie im Lehrerarbeitszeitmodell vorgesehen 908 Stunden zu arbeiten, kamen Vollzeitkräfte auf 956 Stunden. Gewichtet und hochgerechnet auf das ganze Schuljahr 2023/24 entspricht dies den Angaben zufolge 1.845 Stunden. Verabredet seien eigentlich jedoch nur 1.770 Stunden, was umgerechnet auf 38 Schulwochen 46 Stunden und 34 Minuten wären, wie Mußmann sagte. Tatsächlich waren es der Studie zufolge rechnerisch jedoch etwa 48,5 Stunden.
Studie: 25 Prozent überschreiten gesetzliche Höchstarbeitszeit
Die rechnerische Dauerüberschreitung der im Arbeitsgesetz festgelegten Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche ergibt sich der Studie zufolge dadurch, dass etliche Lehrkräfte auch in den Ferien arbeiten. Ein Viertel der Vollzeitbeschäftigten überschreite die Höchstarbeitszeit aber auch während der Schulzeit selbst, sagte Mußmann. Insgesamt leisteten 63 Prozent aller Lehrkräfte Mehrarbeit.
„Was unter Arbeitsschutz- und Gesundheitsaspekten sehr bedenklich ist, ist der hohe Anteil von Wochenendarbeit“, sagte Thomas Hardwig von der Kooperationsstelle. Das seien anderthalb Stunden am Samstag und zweieinhalb Stunden am Sonntag. Die Arbeitszeit sei aber nur die Spitze des Eisberges. Hinzu kämen unter anderem neue Belastungen durch die Digitalisierung, immer schwierigere Schülerinnen und Schüler, gestiegene Dokumentationspflichten. Die Folge: Mehr als 70 Prozent der Lehrkräfte hätten inzwischen ein Burn-out-Risiko.
Bei rund 10.000 Lehrkräften in den Sekundarschulen entsprechen 75 Stunden Mehrarbeit der Studie zufolge unter Berücksichtigung der Teilzeitquote von 83 Prozent rund 625.000 Arbeitsstunden pro Jahr oder etwa 16.000 pro Woche. „Das entspricht 350 Vollzeitstellen, die fehlen, allein um diese Mehrarbeit, die im System steckt, auszugleichen“, sagte Mußmann.
Ältere Lehrkräfte arbeiten am längsten
Der Studie zufolge arbeiten die älteren Lehrkräfte ab 60 Jahren mit durchschnittlich 51 Stunden und 18 Minuten pro Woche am längsten. Festzustellen sei, dass sie sich für Korrekturen ein bis zwei Stunden mehr Zeit ließen, sagte Hardwig. Der Mehraufwand könne aber auch darin begründet sein, dass ältere Lehrkräfte oftmals wegen ihrer Erfahrung schwierigere und aufwändigere Klassen zugewiesen bekämen.
Gewerkschaft GEW fordert Ausgleich
Der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, Sven Quiring, erklärte: „Zwei Stunden pro Woche fehlen systematisch, neue Aufgaben summieren sich inzwischen auf über zehn Stunden wöchentlich.“ Pädagogische Kernaufgaben wie Klassenleitung sowie Vor- und Nachbereitung sprengten regelmäßig die Vorgaben.“ Und seine Stellvertreterin Yvonne Heimbüchel betonte: „Wenn im Durchschnitt ein Viertel der Lehrkräfte die gesetzliche Höchstarbeitszeit überschreitet, ist das ein klarer Verstoß gegen den Arbeitsschutz.“
Entsprechend forderte die GEW 350 zusätzliche Vollzeitstellen, eine verbindliche Arbeitszeiterfassung für alle Schulbeschäftigten und eine Reform der Lehrerarbeitszeitverordnung. Zudem sollte es eigene Zeitbudgets für Leitungsaufgaben, Konzepte zur Digitalisierung und Medienbildung an den einzelnen Schulen sowie eine Dienstvereinbarung für altersgerechtes Arbeiten geben.
Schulbehörde weist Forderungen nach mehr Lehrerstellen zurück
Die Schulbehörde wies die Forderungen der GEW insbesondere nach mehr Lehrerstellen deutlich zurück: Hamburg habe seit 2011 mehr als 6.500 zusätzliche Stellen für pädagogisches Personal an allgemeinbildenden Schulen geschaffen, sagte ein Behördensprecher. Einen allgemeinen Lehrkräftemangel gebe es in Hamburg nicht. Die in der Studie berechneten 75 Überstunden pro Jahr bedeuteten umgerechnet weniger als zwei Überstunden pro Woche. „Bezogen auf rund 23.000 Hamburger Lehrkräfte macht die Gesamtzahl der Überstunden gerade mal 27 Überstunden pro Lehrperson pro Jahr aus.“
Eine auch nur minimale Anpassung der Faktoren des Lehrerarbeitszeitmodells hätte dagegen gravierende Auswirkungen und würde Hunderte von zusätzlichen Lehrerstellen bedeuten. „Zusammen mit den 350 geforderten Stellen zum Abbau von Überstunden kämen schnell 100 Millionen Euro Zusatzkosten pro Jahr zusammen“, sagte der Sprecher. Das sei nicht finanzierbar.
Behörde: Projekt Personalgesundheit läuft bereits
Lehrerin oder Lehrer zu sein, sei ein anstrengender und sicherlich herausfordernder Beruf, räumte die Behörde ein. Um Belastungen zu reduzieren, habe die Behörde bereits das Projekt Personalgesundheit gestartet. Zudem baue Hamburg die Schulsozialarbeit an den Schulen aus. Allein zum laufenden Schuljahr seien 102 neue Stellen geschaffen worden, begleitet von einer jährlichen Investition mit einem Volumen von rund 7,2 Millionen Euro.