Politik Inland

Projekt soll Amokläufe wie in Trier vorher erkennen

Trier, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg, Mannheim und München - um Gewalttaten wie in diesen Städten zu verhindern, beginnt in Rheinland-Pfalz das Pilotprojekt Sensor. Wie es funktionieren soll.

Von dpa

27.11.2025

Pilotprojekt soll helfen, schwere Gewalttaten früh zu erkennen und zu stoppen. Andreas Arnold/dpa

Pilotprojekt soll helfen, schwere Gewalttaten früh zu erkennen und zu stoppen. Andreas Arnold/dpa

© Andreas Arnold/dpa

Anzeichen für einen Amoklauf, einen Anschlag oder eine andere schwere Gewalttat möglichst früh erkennen und die Tat somit vereiteln. Das ist das Ziel des Pilotprojekts „Sensor.rlp“, das am 1. Dezember - und damit dem fünften Jahrestag der Amokfahrt von Trier - im Mainzer Polizeipräsidium beginnt. Der zweite Teil des Projekts wird ab März in Mayen erprobt, wie Innenminister Michael Ebling (SPD) ankündigte. Er mahnte allerdings auch: „Absolute Sicherheit gibt es nicht. Wir können aber Risiken minimieren.“

Lernen aus Amoktaten und Anschlägen

Nach der Amokfahrt in der Trierer Fußgängerzone mit mehreren Toten und Verletzten hatte die Innenministerkonferenz unter Federführung von Rheinland-Pfalz eine Arbeitsgruppe mit Experten zu der Frage eingerichtet, wie schwere Gewalttaten frühzeitig erkannt und im Keim erstickt werden können, wie Ebling erläuterte. All das soll beim Bedrohungsmanagement „Sensor.rlp“ einfließen. 

Auch die Gewalttaten von Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg, Mannheim und München seien analysiert und daraus Schlüsse gezogen worden. „Wir wollen aus schweren Gewalttaten lernen.“

„Schwere Gewalttaten kommen nicht aus dem Nichts“

Nach Einschätzung der Fachleute liegen bei schweren Gewalttaten „grundlegende Verhaltensmuster“ vor. Sie seien keine spontanen Handlungen, oft liege vielmehr ein empfundener Missstand zugrunde, und der Betroffene entwickle dann über Wochen und Monate Gewaltfantasien dazu. Manche kündigten auch Taten an oder fabulierten darüber. „Schwere Gewalttaten kommen nicht aus dem Nichts“, sagte Hedda Holzbauer vom Landeskriminalamt (LKA). Sie müssten vorbereitet werden.

Psychische Erkrankungen und Auffälligkeiten könnten eine Rolle spielen, hätten aber nicht per se mit Gewalt zu tun. 

„Sensor.rlp“ zielt auch auf Amokläufe an Schulen, Bedrohungen von Mitarbeitern in Behörden und von Mandatsträgern in sozialen Netzwerken, wie Ebling sagte. Aber auch auf Anzeichen für politische Anschläge. 

„Wir schärfen das Bewusstsein und lassen Menschen mit schlechtem Bauchgefühl nicht allein“, erläutert Innenminister Michael Ebling (SPD) das Pilotprojekt.Andreas Arnold/dpa

„Wir schärfen das Bewusstsein und lassen Menschen mit schlechtem Bauchgefühl nicht allein“, erläutert Innenminister Michael Ebling (SPD) das Pilotprojekt.Andreas Arnold/dpa

© Andreas Arnold/dpa

Was „Sensor.rlp“ genau bedeutet

Das ist die Abkürzung für Sensibilisieren (Polizei und Behörden), Erkennen (von Warnverhalten), Nachhalten (standardisierte Erfassung mit Checkliste), Steuern (an den Fallmanager bei der Polizei wenden), Operationalisieren (Risikobeurteilung, möglicherweise Landeskriminalamt einschalten) und Reagieren (Gefahrenabwehr). „Wir schaffen ein modernes, wissenschaftlich fundierte Bedrohungsmanagement, das Hinweise früher sichtbar macht, Risiken klarer bewertet und rechtzeitige Maßnahmen ermöglicht“, sagte Ebling. 

Ein Kernbaustein sei der intensive Austausch mit kommunalen Behörden wie Jugendämtern, Staatsanwaltschaften und Schulen. So sollten mögliche Warnsignale früher wahrgenommen und berücksichtigt werden. „Wir schärfen das Bewusstsein und lassen Menschen mit schlechtem Bauchgefühl nicht allein“, sagte Ebling mit Blick auf Polizisten, Lehrer und Behördenmitarbeiter. 

Frank Heinen - Fallmanager bei der Polizei im Mainzer Pilotprojekt - betonte, es gehe nicht darum, Denunziation zu fördern. Ein Eingreifen der Polizei sei auch gar nicht immer nötig, oft reiche es, zu beraten, etwa bei Auffälligkeiten in Schulen.

Beispiel Waffenaffinität und Abkapselung

LKA-Sachgebietsleiterin Analyse, Holzbauer, schildert ein Beispiel: Eine Streife rückt wegen Ruhestörung aus, ein junger Mann öffnet an dem Haus die Wohnungstür und ruft seinem jüngeren Bruder zu, er solle die Musik leiser drehen. Er kommt mit den Beamten ins Gespräch und erzählt, dass sich der pubertierende kleine Bruder gerade sozial isoliere, Probleme in der Schule habe, sich für Waffen interessiere und schon mal eine komische Andeutung gemacht habe. 

„Die Kollegen fahren mit einem schlechten Bauchgefühl davon.“ Das soll mit „Sensor-rlp“ professionell aufgearbeitet und - wenn nötig - in Handlungen umgesetzt werden. Sie füllen dann einen standardisierten Fragebogen innerhalb von fünf bis zehn Minuten aus und klären damit das Risiko schon mal vor. Anschließend können sie sich an den Fallmanager bei der Polizei wenden, der die Situation analysiert und sich gegebenenfalls an die Fachleute im LKA wenden, die ihre Einschätzung rückkoppeln. Was dann für eine Aktion folgt, ist ganz unterschiedlich. „Das ist immer eine Einzelfallprüfung“, betonte Holzbauer.

Innenminister Ebling will mit einem Modellprojekt Amokfahrten wie in Trier früher erkennen und verhindern. (Archivbild) Harald Tittel/dpa

Innenminister Ebling will mit einem Modellprojekt Amokfahrten wie in Trier früher erkennen und verhindern. (Archivbild) Harald Tittel/dpa

© Harald Tittel/dpa

Die GdP sieht „wichtigen Schritt“ und appelliert an die Behörden

Die Gewerkschaft der Polizei Rheinland-Pfalz (GdP) sprach von einem „wichtigen Schritt für eine moderne und vorausschauende Sicherheitsarchitektur im Land“. Das neue Modell soll Warnhinweise früher sichtbar machen, Risiken strukturierter einordnen und damit die Wahrscheinlichkeit schwerer zielgerichteter Gewalttaten reduzieren. Aus Sicht der GdP setzt Rheinland-Pfalz damit ein klares Zeichen, sicherheitspolitische Herausforderungen anzunehmen und systematisch zu bearbeiten. 

Es komme aber auch auf die anderen Stellen an, betonte der stellvertretende Landesvorsitzende Sven Hummel. „Der Pilot ist ein starker Beginn. Die Polizei wird ihren Beitrag leisten – aber nur im Zusammenspiel mit allen beteiligten Ressorts entsteht ein Bedrohungsmanagement, das unsere offene Gesellschaft nachhaltig schützt.“

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