Prozess nach Horror-Unfall: Wann wird Raserei zum Mord?
Ein Auto kann auch zur Mordwaffe werden. Dann etwa, wenn ein Fahrer Gas gibt und einen tödlichen Crash provoziert. Ob dies auch bei einem Unfall in Ludwigsburg so war, muss ein Gericht herausfinden.
Nach früheren Angaben des Innenministeriums hat die Polizei im Südwesten im Jahr 2024 fast 400 illegale Autorennen registriert - die Dunkelziffer ist gewaltig. (Archivbild)Bernd Weißbrod/dpa
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Was geht in einem jungen Menschen vor, der in einer PS-starken Limousine Vollgas gibt und durch Ludwigsburg rast? Der den Motor immer wieder aufheulen lässt, die Tachonadel in die Höhe treibt und schneller sein will als sein Bruder? Und der schließlich die Kontrolle verliert und einen fatalen Crash verursacht? Ist ihm dabei bewusst, dass er zur tödlichen Gefahr werden und Menschenleben vernichten kann?
Nach dem Tod zweier unbeteiligter Frauen in einem völlig zerbeulten Autowrack in Ludwigsburg im März befasst sich nun das Landgericht Stuttgart mit diesen Fragen. Es geht vor allem darum, ob die drei Männer auf der Anklagebank in jener Nacht ein illegales Autorennen fuhren und ob der Crash, bei dem die Frauen starben, rechtlich als Mord zu werten ist, weil die Folgen vorhersehbar gewesen sein könnten.
Fataler Abend
Der Fall sorgte bundesweit für Aufsehen. Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft verabreden sich zwei Brüder im Alter von 32 und 34 Jahren und ihr 25-jähriger Cousin zu einem Rennen in der Innenstadt und rasen gegen 19.15 Uhr zunächst mit drei Autos durch die Bahnhofsunterführung. Etwa 45 Minuten später starten sie ein weiteres Rennen mit zwei Wagen. Der Cousin sitzt laut Anklage nun als Beifahrer beim älteren Bruder. Er soll das Startzeichen geben und Teile des Rennens filmen.
Die Brüder sind laut Anklage in hochmotorisierten Mercedes-Limousinen der S‑Klasse unterwegs. Über mehrere Minuten liefern sie sich in einer Tempo‑50‑Zone ein Kräftemessen, halten an Ampeln und beschleunigen immer wieder stark – teils bis auf rund 150 Kilometer pro Stunde.
Plötzlich biegt ein Kleinwagen von einer Tankstelle auf die Straße – darin zwei junge Frauen, 22 und 23 Jahre alt. Der 32‑Jährige rammt den Wagen mit voller Wucht; er überschlägt sich und wird zwischen Bäumen eingeklemmt. Die Frauen sterben noch am Unfallort. Der mutmaßliche Unfallverursacher wird leicht verletzt und festgenommen. Sein Bruder und der Cousin fliehen, werden aber Wochen später gefasst.
Das Stuttgarter Landgericht muss vor allem klären, ob sich die drei Männer auf der Anklagebank tatsächlich ein mutmaßlich illegales Autorennen lieferten in jener Nacht. (Archivbild) Andreas Rometsch/KS-Images.de/dpa
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Fahrer der Polizei bekannt
Der mutmaßliche Unfallverursacher ist der Polizei bekannt. Ihm wird Mord in zwei Fällen vorgeworfen. Gegen den Bruder lautet der Vorwurf auf versuchten Mord. Beiden legt die Anklage zudem ein verbotenes Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge sowie Gefährdung des Straßenverkehrs zur Last; dem Älteren außerdem unerlaubtes Entfernen vom Unfallort. Der Cousin ist wegen Beihilfe zum Rennen in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung in zwei Fällen angeklagt.
Alle drei Männer sollen obendrein kurz vor dem tödlichen Unfall an einem weiteren illegalen Rennen teilgenommen haben.
Kann man mit dem Auto morden?
Ein Auto als Mordwaffe – das ist in der Rechtsprechung nicht abwegig. Illegale Autorennen sind seit Oktober 2017 ein Straftatbestand. Schon die Teilnahme kann mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden, bei Gefährdung drohen bis zu fünf Jahren und bei Todesfolge ein bis zehn Jahre. Auch sogenanntes „Rasen gegen sich selbst“ ohne Gegner kann erfasst sein.
Prägend war ein Urteil des Bundesgerichtshofs, der nach einem Hamburger Fall 2017 erstmals eine Mordverurteilung gegen einen rücksichtslosen Raser bestätigte. Bekannt wurden auch die Verfahren um die Ku’damm‑Raser in Berlin sowie ein Fall aus Heilbronn: Dort wurde 2024 unter anderem wegen Mordes eine Jugendstrafe von neun Jahren verhängt, weil das Gericht das Mordmerkmal der Heimtücke als erfüllt ansah – das Opfer konnte mit dem heranrasenden Wagen nicht rechnen.
Es gibt auch Ausnahmen
Allerdings muss in jedem Einzelfall ein Tötungsvorsatz oder ein Mordmerkmal nachgewiesen werden. Selbst ein Rennen mit Todesfolge führt nicht automatisch zu einem Mordurteil; so wurde 2019 in Stuttgart ein damals 21‑Jähriger nach einem tödlichen Crash statt wegen Mordes wegen Totschlags zu fünf Jahren Jugendstrafe verurteilt – bedingter Tötungsvorsatz ließ sich laut Gericht nicht nachweisen.
Rennen wie das mutmaßliche in Ludwigsburg auf den baden-württembergischen Straßen alles andere als Einzelfälle. Nach Angaben des Landesinnenministeriums registrierte die Polizei im Südwesten 2024 fast 400 solcher Rennen - und die Dunkelziffer gilt als sehr hoch.