Panorama

Ermittlungen gegen Polizisten - Experte zu möglichen Gründen

Die Nachricht der Razzia gegen 17 Beamte platzte am Freitag herein und wirkt nach. Ein Kriminologe erklärt, warum Gruppendynamik und Loyalität zum Problem werden können – und was sich ändern ließe.

Von dpa

11.10.2025

Das 1. Polizeirevier liegt an der zentralen Konstablerwache, eine Gegend mit eher rauem Charme. Andreas Arnold/dpa

Das 1. Polizeirevier liegt an der zentralen Konstablerwache, eine Gegend mit eher rauem Charme. Andreas Arnold/dpa

© Andreas Arnold/dpa

Einen Tag nach Bekanntwerden der massiven Vorwürfe gegen 17 Frankfurter Polizisten laufen die Ermittlungen. Neue, über die von der Staatsanwaltschaft am Vortag bekanntgegebenen Details waren zunächst nicht bekannt. Ein Experte erklärte, dass rechtswidrige Polizeigewalt vielschichtige Ursachen hat.

Insgesamt stehen gegen 17 Beamtinnen und Beamte des 1. Frankfurter Polizeireviers an der Zeil in der Innenstadt Vorwürfe im Raum. Freitagfrüh hatten Ermittler deswegen 21 Wohnungen und vier Dienststellen der Polizei durchsucht. Die betroffenen Beamten sollen mehrfach während oder nach Festnahmen entweder selbst gewalttätig geworden sein oder weggeschaut haben. Es geht um mutmaßliche Körperverletzung und Strafvereitelung im Amt sowie die Verfolgung Unschuldiger.

Einer der Geschädigten erlitt nach Angaben der Frankfurter Staatsanwaltschaft einen Nasenbeinbruch. In einem Fall soll ein Mann eine Treppe heruntergestoßen worden sein. Die Übergriffe sollen sich zwischen Februar und April dieses Jahres ereignet haben. Hinweise auf ein extremistisches oder rassistisches Motiv gibt es der Behörde zufolge bislang nicht.

„Gewaltpraxen können sich verselbstständigen“

Doch wie konnte es dazu kommen? Der Frankfurter Rechtswissenschaftler Tobias Singelnstein sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Immer dann, wenn polizeiliche Maßnahmen auf andere Art und Weise nicht mehr durchgesetzt werden können, darf die Polizei in verhältnismäßiger Weise Gewalt einsetzen.“ Das sei zwar eine Ausnahmebefugnis, gehöre jedoch zum Joballtag.

Neben Räumen des ersten Polizeireviers waren auch andere Dienststellen sowie Wohnungen durchsucht worden. Andreas Arnold/dpa

Neben Räumen des ersten Polizeireviers waren auch andere Dienststellen sowie Wohnungen durchsucht worden. Andreas Arnold/dpa

© Andreas Arnold/dpa

„Und das bringt die Gefahr mit sich, dass sich eine solche Praxis der Gewalt verselbstständigen kann“, sagt Singelnstein, der an der Goethe-Universität Frankfurt die Professur für Kriminologie und Strafrecht innehat und unter anderem zum Polizeiwesen forscht.

Bei unzulässiger Polizeigewalt komme eine „riesengroße Bandbreite“ von Hintergründen in Betracht: „Das reicht von Fällen, in denen überforderte Beamte vielleicht einen Schlag zu viel setzen, bis hin dazu, dass sich rechtswidrige Gewaltpraxen in Dienstgruppen verselbstständigen“, sagt der Experte mit allgemeinem Blick auf solche Vorfälle.

Zusammenhalt im Alltag

Gruppendynamik kann eine Rolle bei Gesetzesübertritten von Polizisten spielen, wie Singelnstein weiter allgemein ausführt. Eine Dienstgruppe ermögliche einen engen sozialen Zusammenhalt im Polizeialltag. „Diese Verbundenheit kann dann dazu führen, dass die ganze Dienstgruppe in eine bestimmte Richtung abdriftet.“

Der starke Zusammenhalt oder eine Art Corpsgeist erschwerten unter Umständen auch die Aufklärung bei Fehlverhalten. „Es gibt so eine ungeschriebene Regel, dass man im Prinzip den Kollegen und Kolleginnen nicht in den Rücken fällt, auch wenn sie vielleicht etwas falsch gemacht haben.“ 

Eine Häufung von Anzeigen habe Alarm im „Frühwarnsystem“ der Polizei ausgelöst, sagte Hessens Innenminister Poseck. Andreas Arnold/dpa

Eine Häufung von Anzeigen habe Alarm im „Frühwarnsystem“ der Polizei ausgelöst, sagte Hessens Innenminister Poseck. Andreas Arnold/dpa

© Andreas Arnold/dpa

In dem aktuellen Fall sollen Beamte in fünf Fällen sogar Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Widerstands oder eines tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte eröffnet haben, um das eigene Vorgehen nachträglich zu rechtfertigen. Weil es auch Anzeigen Betroffener gegen die Beamten gab, fiel die Häufung im Polizeipräsidium Frankfurt auf, das löste nach Angaben von Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) im „Frühwarnsystem“ der Polizei Alarm aus.

Experte sieht größere Sensibilität

Aus Sicht von Singelnstein gibt es mittlerweile eine größere Sensibilität beim Thema Polizeigewalt, weil in den vergangenen Jahren in der Öffentlichkeit sehr intensiv über die Problematik debattiert worden sei. „Und deshalb gibt es, glaube ich, schon ein stärkeres Problembewusstsein in der Polizei heute und es wird auch bei bekanntgewordenen Fällen etwas anders damit umgegangen, als es vielleicht früher der Fall war.“

Generell wichtig sei, so Singelnstein, dass innerhalb der Polizei eine „Entnormalisierung“ von Gewalt stattfinde – selbst wenn sie zum Alltag gehört. Sei es, dass die Beamten auf Streife solche selbst erfahren oder als Ausnahmebefugnis anwenden. Regelmäßige interne Fortbildung, Supervision und Reflexion sollten daher Pflicht für Beamtinnen und Beamten sein, meint der Experte.

Und ganz klar sei auch bei Fällen von Fehlverhalten oder unzulässiger Gewalt: „Das sind einfach Straftaten, die intern nicht geduldet werden dürfen und es auch nicht goutiert werden darf, wenn Leute gedeckt werden.“

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