Gegen Taubenleid: Unterwegs mit den Eier-Tauscherinnen
Mit Schneebesen und Selfiestick auf Eierjagd: Wie in Wiesbaden und auch anderswo in Hessen das Leid der Stadttauben gelindert werden soll.

Mitglieder des Vereins „Stadttaubenhilfe Mainz/Wiesbaden“ kontrollieren Taubennester und tauschen echte Eier gegen falsche aus.Lando Hass/dpa
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Zu dem wichtigsten Werkzeug der Eier-Tauscherinnen zählt ein selbstgebastelter Stab. An der einen Seite ist ein Schneebesen befestigt, an der anderen Seite eine Nudelkelle. „Damit kommen wir auch an Nester in schwer erreichbaren Ecken und können die Eier herausholen“, sagt Verena L. vom Verein Stadttaubenhilfe Mainz/Wiesbaden. Die 35-Jährige ist gemeinsam mit Vereinskollegin Sina J. auf einer Kontrolltour durch die Wiesbadener Innenstadt unterwegs. Die Frauen tauschen echte Taubeneier mit Attrappen aus. Damit soll die Tauben-Population kontrolliert werden.
In Limburg hatte in den zurückliegenden Monaten die geplante Tötung von Stadttauben für Aufregung und emotionale Debatten gesorgt. Hintergrund ist ein Stadtverordnetenbeschluss vom November 2023 zur Dezimierung der Taubenpopulation in der Lahn-Stadt. Nach heftigem Widerspruch hat die Stadt diese Pläne inzwischen aufgegeben.

Tauben-Populationen sorgen in vielen Städten für emotionale Debatten.Lando Hass/dpa
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Stadttauben sind verwahrloste Haustiere, wie die Expertinnen erklären. Als Nachkommen von Haustauben, wie zum Beispiel Zucht- oder Brieftauben, seien sie auf menschliche Hilfe angewiesen. „In unseren Städten erhoffen sie sich Nahrung und sichere Brutplätze, doch leider wird dieser Bedarf nicht ansatzweise erfüllt.“ Die Vögel fräßen in ihrer Not Essensreste von der Straße wie Pommes und schimmeligen Brotreste oder Erbrochenes. Das führt zu Darmentzündungen und chronischem Durchfall.
Ohne Bestandskontrollen wie Eieraustausch vermehrten sich Stadttauben rasant. „Das Leid der Stadttauben ist groß; viele Tiere verhungern elendig oder sterben an taubenspezifischen Krankheiten, die durch die schlechten Lebensbedingungen begünstigt werden“, erklären die Tierschützerinnen.

Tauben brüten oft an versteckten Orten, die von den Helferinnen schwer zu erreichen sind.Lando Hass/dpa
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Bei ihrer Tauschaktion gehen die beiden Frauen an Orte, von denen sich viele Menschen voller Ekel abwenden würden. Etwa eine verlassene Etage in einem Wiesbadener Parkhaus. Neben skelettierten Kadavern von Ratten und Tauben entdecken sie immer wieder Nester, in denen gebrütet wird. „Solche Orte sind für Menschen und Tiere nicht schön“, sagt Verena während Sina mit geübten Griffen und der Hilfe eines Smartphones samt Selfiestick auch versteckte Winkel absucht. „Tauben sind hart im Nehmen, die brüten überall“, sagt sie - bevor sie die Leiter zusammenklappt und einige Meter weiter nach Nestern schaut.

Bei ihren Kontrollgängen sind die Taubenschützerinnen an Orten unterwegs, die bei vielen Menschen Ekel auslösen würden.Lando Hass/dpa
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Als sehr effektiv hätten sich auch extra eingerichtete Taubenschläge erwiesen - jedoch sei es schwer, dafür Standorte zu finden. Auch in den Schlägen werden die Eier ausgetauscht. Wiesbaden sei mit seinem Taubenkonzept erfolgreich, sagt Verena. Die Kommune veranlasst alle zwei Jahre eine Taubenzählung. Die jüngste vom Oktober 2023 habe ergeben, dass die Wachstumsrate in der Innenstadt von über 40 Prozent in den Jahren 2019 bis 2021 auf 5,5 Prozent in den Jahren 2021 bis 2023 habe gesenkt werden können, erklärt die Expertin. Die nächste Taubenzählung ist für Ende Oktober geplant. Verena lobt die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung - Wiesbaden sei ein gutes Beispiel, wie das gut klappen kann. Der Eiertausch werde über die Finanzierung eines Mini-Jobs unterstützt.

Die Tauben setzen sich zum Brüten auch auf Fake-Eier (rechts).Lando Hass/dpa
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Auch in Frankfurt gibt es Menschen, die in ihrer Freizeit Taubeneier gegen Hartplastik-Attrappen tauschen. Dies sei eine tierschutzgerechte, effektive und nachhaltige Maßnahme zur Populationskontrolle, sagt Alexandra Dommes vom Verein Maintauben. „Stadttauben brüten sechs- bis achtmal im Jahr“, sagt sie.
Stadttauben seien wie Streunerkatzen Nachfahren von domestizierten Haustieren und vom Menschen abhängig. Dass sie so häufig brüten, liege an der Zucht. „Es handelt sich um ein menschengemachtes Problem“, sagt die Tierschützerin.
Weniger kranke und verletzte Jungtiere
Der Eiertausch sei sowohl eine Maßnahme gegen Tauben als auch für sie. Denn er soll nicht nur die Vermehrung bremsen, sondern auch das Leid mindern. „Von den Jungtieren versterben ungefähr 50 Prozent schon im Nest, und von den Überlebenden schaffen es 80 bis 90 Prozent nicht durch das erste Jahr“, schildert Dommes.
Die Mitglieder des Vereins tauschen Eier an Hotspots wie der Frankfurter Hauptwache, in Parkhäusern, entlang der Zeil und in Hinterhöfen. 2023 waren es nach Angaben des Vereins mehr als 1.600 Eier, 2024 rund 1.100.
„Die Wirkung ist spürbar: Bevor wir den Eiertausch an der Hauptwache gestartet haben, waren ständig verletzte, kranke Jungtiere auf dem Boden. Heute sind es deutlich weniger und auch die Gesamtzahl der Tauben ist weniger geworden“, sagt Dommes. Mehr Eier zu tauschen wäre wünschenswert, aber nur mit mehr Helfern und Helferinnen zu schaffen.