Panorama

Ein Küchentisch als Werkbank - wie Krippenkunst entsteht

Für eine Künstlerin aus dem Rheinland sind Krippen ein Ganzjahresprojekt. Eines ihrer Werke ist Teil einer außergewöhnlichen Schau in Telgte. In Köln und Aachen führen Krippenwege zu den Exponaten.

Von Volker Danisch, dpa

12.12.2025

Für US-Präsident Donald Trump kommt es in der Krippenkunst-Ausstellung im münsterländischen Telgte dick - das ist für Museumsleiterin Anja Schöne klar. „Hier sieht man also die Heiligen Drei Könige, die sich aber abwenden von diesem bekannten Herrn mit der roten Krawatte“, beschreibt sie ein Exponat. Es liegt im Auge des Betrachters, die Figur und die Szene zu deuten. Aber „die Locke da oben“, die rote Krawatte und eine Art Fake-Thron, das sei schon ziemlich eindeutig, verdeutlicht sie.

„Hoffnung“ ist nicht nur Titel dieser Skulptur aus Eichenholz, sondern auch das Thema der gesamten Schau im Religio - Westfälischen Museum für religiöse Kultur. Mal stehen, wie hier, die Heiligen Drei Könige im Mittelpunkt, an anderer Stelle die Heilige Familie, Hirten oder Engel - jedoch selten in klassischer Darstellung. „Davon lebt diese Ausstellung, dass es nicht nur die klassische Krippe ist“, erklärt Schöne. Auf Einladung nehmen 120 Künstlerinnen und Künstler an der Sonderausstellung teil. „Viele sind Wiederholungstäter, aber es sind auch immer wieder neue Leute dabei.“

Die Leiterin des Museums Religio, Anja Schöne, steht im Depot in Münster. Dort ist der Großteil der Krippensammlung eingelagert. Friso Gentsch/dpa

Die Leiterin des Museums Religio, Anja Schöne, steht im Depot in Münster. Dort ist der Großteil der Krippensammlung eingelagert. Friso Gentsch/dpa

© Friso Gentsch/dpa

Es ist vor allem die Hoffnung auf Frieden, die die Ausstellung durchzieht. So liegt bei einem Exponat das Jesuskind in einer Schubkarre voller Schutt. Daneben sitzen zwei Jungen in der Ecke einer Ruine - ein Werk der Hildener Krippenkünstlerin Annette Hiemenz. Tränen kullern über das traurige Gesicht des einen, während der andere hoffnungsvoll nach oben schaut. Gemeinsam halten sie das Jesuskind in der Hand, auf dem Boden liegen weitere Krippenfiguren. Hinter den Kindern klaffen Einschusslöcher in der Wand. 

Entstanden ist die Krippe in Hiemenz‘ Atelier. „Meine Werkbank ist mein Küchentisch“, verdeutlicht die studierte Architektin. Am Anfang fertigt sie eine Zeichnung. Die Figuren entstehen aus Drahtgerüsten, Papier und Leim. 

Für die Gesichter, die zuletzt entstehen, fertigt sie eine spezielle Masse an. Wenn sie mit Modellierwerkzeug, Schmirgelpapier und Farbe dann die Details der Gesichter herausarbeitet, kann es auch für die Künstlerin selbst einen kleinen Überraschungseffekt geben: „Der Junge, der sich an sein Geschwisterchen lehnt, der ist durchaus geworden, wie ich dachte. Das andere Kind ist völlig anders geworden“, schildert Hiemenz. 

Krippenkünstlerin Annette Hiemenz sitzt an ihrer „Werkbank“, dem Küchentisch, und präsentiert einige ihrer jüngsten Krippenfiguren. Auf dem Mobiltelefon zeigt sie ein Foto der noch unfertigen Kinderfiguren, die Bestandteil ihres Exponates für die 85. Telgter Krippenkunst-Ausstellung sind.Volker Danisch/dpa

Krippenkünstlerin Annette Hiemenz sitzt an ihrer „Werkbank“, dem Küchentisch, und präsentiert einige ihrer jüngsten Krippenfiguren. Auf dem Mobiltelefon zeigt sie ein Foto der noch unfertigen Kinderfiguren, die Bestandteil ihres Exponates für die 85. Telgter Krippenkunst-Ausstellung sind.Volker Danisch/dpa

© Volker Danisch/dpa

Küchentisch als Werkbank

Für Hiemenz ist der Krippenbau ein Ganzjahresprojekt. „Also mit Advent und Weihnachten sind es fast acht Wochen Trubel, wo man nicht weg kann.“ Ende Januar folgt eine Pause. „Dann kommen aber schon neue Pläne und dann arbeitet es in mir. So um Ostern geht es wieder los“. Der Aufwand für eine neue Krippe ist kaum kalkulierbar: „Ich kann es überhaupt nicht sagen, wie viele Stunden ich dafür brauche, weil ich darf mich nicht unter Druck setzen, dann wird das nichts.“ In der Krippe mit den beiden Jungen steckten „bestimmt 200 Stunden drin“.

Hunderte Vereinsmitglieder

Wie viele Krippenbauer und Krippengestalter aktiv sind, ist nicht bekannt. Der Landesgemeinschaft der Krippenfreude in Rheinland und Westfalen gehören etwa 250 Vereinsmitglieder an, berichtet Vorsitzende Caroline Maria Weber. Darunter seien Künstler und Sammler. Die Krippengestaltung in den Kirchen sei nicht immer gleich, es würden auch soziale Themen wie Arbeitslosigkeit aufgegriffen. „Eine Krippe ist die bildhafte Darstellung der Geburt Jesu. Das Jesuskind wird traditionell erst zu Heiligabend in die Krippe gelegt“ erklärt sie. Die Heiligen Drei Könige kämen am 6. Januar, dem Dreikönigstag, hinzu. In Ausstellungen können sie von Anfang an dabei sein. 

Regionale Besonderheiten

Weber, die auch ein Grußwort zur Sonderausstellung in Telgte geschrieben hat, verweist auf unterschiedliche Gestaltungstraditionen. „Es gibt die orientalische Krippe, wie sich das der Künstler im Heiligen Land vorstellt. Dann gibt es die heimatlichen Krippen, da entspricht die Landschaft und Architektur mehr dem eigenen Umfeld.“ Auch durch Figuren werden Bezüge zur Region hergestellt, etwa in Trachten aus dem Münsterland oder das Kölner „Hänneschen“ als Besucher an der Krippe.

Caroline Maria Weber ist die Vorsitzende der Landesgemeinschaft der Krippenfreunde in Rheinland und Westfalen. Sie organisiert die Krippenwege in Köln und Aachen. Thomas Banneyer/dpa

Caroline Maria Weber ist die Vorsitzende der Landesgemeinschaft der Krippenfreunde in Rheinland und Westfalen. Sie organisiert die Krippenwege in Köln und Aachen. Thomas Banneyer/dpa

© Thomas Banneyer/dpa

„Ich finde das Interesse ist gewachsen und jetzt gleichbleibend, bei aller Kritik, die an der Kirche geübt wird. Die Krippe wird komplett positiv gesehen“, sagt Weber zur Resonanz beim Kölner Krippenweg, den sie seit 30 Jahren organisiert. An mehr als 100 Stationen in und rund um Köln können sich Interessierte Krippen anschauen. Von einem Auktionshaus, über das Bürgerbüro, ein Café, zahlreiche Kirchen und einen Tierpark bis hin zu Weihnachtsmärkten reichen die Orte, an denen Krippen zu sehen sind. 

Aus der Not geboren

„Der Kölner Krippenweg ist aus einer gewissen Not heraus geboren worden“, erklärt Weber. Als 1996 zum Weltkrippenkongress die Miete für eine große Ausstellungsfläche nicht vorhanden war, entstand die Idee, Krippen in Schaufenstern auszustellen. „Wir haben den permanenten Schwerpunkt mit der Krippenkunst aus den Kölner Partnerstädten.“ Darüber hinaus würden zwei Krippen aus der Ukraine stammen. Weber organisiert auch den Aachener Krippenweg seit 26 Jahren. Menschen aller Altersgruppen interessierten sich für den Krippenweg, darunter sind auch Touristen.

Licht und Schatten 

Für das Religio sind Krippen ein Besuchermagnet, gerade zur Weihnachtszeit. Allein zu den Krippen-Sonderausstellungen kommen in das vom Bistum Münster, dem Kreis Warendorf und der Stadt Telgte getragene Museum etwa 10.000 Besucher. Im Gesamtjahr sind es etwa doppelt so viele. Um die Resonanz in Sommermonaten zu steigern, gibt es seit 2012 ein neues Konzept: Reformation und Pilgerwelten nennt Schöne als Beispiele für Sonderausstellungen außerhalb des Winters. Krippen werden in der Dauerausstellung nur noch auf einer statt vorher auf zwei Etagen gezeigt. „Dafür spielt die Darstellung der Religionen der Welt eine größere Rolle.“ 

Museumsleiterin Anja Schöne blickt auf archivierte Krippen in einem Depot. Das Religio - Westfälisches Museum für religiöse Kultur - beherbergt nach eigenen Angaben eine der größten Krippensammlungen in Deutschland. Friso Gentsch/dpa

Museumsleiterin Anja Schöne blickt auf archivierte Krippen in einem Depot. Das Religio - Westfälisches Museum für religiöse Kultur - beherbergt nach eigenen Angaben eine der größten Krippensammlungen in Deutschland. Friso Gentsch/dpa

© Friso Gentsch/dpa

Rückbesinnung in der Pandemie 

Etwa neun Zehntel der Krippensammlung aus vier Jahrhunderten stehen in einem Depot in Münster. Nach eigenen Angaben des Museums handelt es sich um eine der größten Sammlungen Deutschlands. Immer wieder werden neue Stücke angekauft. Unter den Exponaten von Künstlern, die derzeit eingelagert sind, befindet sich eine Corona-Krippe in der kugelrunden und auch stachligen Form des Virus. In der Pandemie habe das Basteln in den Familien einen Aufschwung erlebt. Das gelte auch für Krippen, sagt Schöne.

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