Politik Inland

Abi-Motto-Eklat aufgeklärt - Schulen spiegeln Polarisierung

Vorschläge mit NS-Bezug bei der Wahl eines Abi-Mottos - aus diesem Eklat hat die Gießener Liebigschule ihre Lehren gezogen. Doch immer mehr Schulen suchen wegen ähnlicher Vorfälle Unterstützung.

Von Christine Schultze, dpa

07.11.2025

Vorschläge für ein Abi-Motto mit NS-Bezug sorgten für einen Eklat an der Gießener Liebigschule. Dort wird inzwischen verstärkt auf Prävention und Demokratiebildung gesetzt. (Symbolbild)Marijan Murat/dpa

Vorschläge für ein Abi-Motto mit NS-Bezug sorgten für einen Eklat an der Gießener Liebigschule. Dort wird inzwischen verstärkt auf Prävention und Demokratiebildung gesetzt. (Symbolbild)Marijan Murat/dpa

© Marijan Murat/dpa

Der Vorfall hat vor einem knappen halben Jahr für Schlagzeilen gesorgt: Bei einer anonymen Abstimmung über ein Abiturmotto an der Gießener Liebigschule wird ein Vorschlag im Nazi-Jargon am besten von den Schülern bewertet. Intern gilt der Vorfall als aufgeklärt, und das hessische Kultusministerium verweist auf eine verstärkte Extremismusprävention. Doch an anderen Schulen häufen sich ähnliche Probleme, wie das „Beratungsnetzwerk Hessen“ mit wachsender Sorge sieht.

Der damalige Jahrgang 12 der Liebigschule hatte im Mai auf einem anonymen Portal Vorschläge für Abi-Slogans gesammelt. Dabei waren nach Darstellung der Schule antisemitische, rassistische und diskriminierende Ideen geäußert und ebenfalls anonym mehrfach positiv bewertet worden - darunter etwa die Formulierung „NSDABI – Verbrennt den Duden“ - in Anspielung auf die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP).

Vorfall intern aufgeklärt

Als dies bekannt wurde, seien erst einmal alle geschockt gewesen, sagt Schulleiter Dirk Hölscher. Die Schüler selbst hätten relativ schnell reagiert und die Abstimmung unterbunden. Wer hinter den fraglichen Vorschlägen steckte, ist laut Hölscher bekannt. „Das ist intern alles geklärt“ - noch liefen aber Ermittlungen der Staatsanwaltschaft.

Lehrkräfte aller Leistungskurse der Schule thematisierten den Vorfall im Unterricht, wie auch das hessische Kultusministerium erklärt. „Zudem arbeitet die Schule den Vorfall gemeinsam mit externen Partnern durch Workshops und Vorträge auf.“ Exemplarisch nannte das Ministerium die Teilnahme am Schulentwicklungsprogramm „Gemeinsam:Schlau“ der Frankfurter Crespo Foundation, die nach eigenen Angaben dafür eintritt, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, selbstbestimmt zu leben und die Gesellschaft aktiv mitzugestalten. 

Zahlreiche Angebote 

Ein im Rahmen des Programms geschultes Lehrkräfte-Team habe an der Liebigschule bereits mehrere Workshops gegen Rassismus und Diskriminierung durchgeführt. Hinzu kämen Lesungen von Geflüchteten, die Teilnahme an Gedenkveranstaltungen, die regelmäßige Behandlung aktueller Ereignisse im Zusammenhang mit Antisemitismus und Rassismus sowie Nationalsozialismus und Holocaust im Unterricht und weitere Angebote. 

Aus Sicht von Schulleiter Hölscher haben die Aufarbeitung und auch die zusätzlichen Angebote vor allem die Sprachsensibilität an der Schule gestärkt. Auch gebe es Überlegungen, wie die Schulgemeinschaft gemeinsam während der für das letzte Novemberwochenende in Gießen geplanten Gründungsversammlung der neuen AfD-Jugendorganisation Haltung zeigen könne. Im Gespräch sei, Transparente aufzuhängen, die sich für Meinungsfreiheit und Menschenwürde und gegen Rassismus aussprechen. 

Vorfälle „Teil des Schulalltags“

Der Leiter des Demokratiezentrums Hessen, Reiner Becker, sieht das Engagement der Schule bei der Aufarbeitung positiv. Doch wie sieht es an den anderen Schulen im Bundesland aus? Erst kürzlich hatte das mit dem Demokratiezentrum verbundene „Beratungsnetzwerk Hessen“ über eine Rekordzahl von Beratungsanfragen im vergangenen Jahr und einer Häufung der Anfragen von Schulen berichtet, die mittlerweile „Teil des Schulalltags“ seien, sagt Becker. Von Parolen im Klassenzimmer über Hakenkreuzschmierereien, Beleidigungen oder Drohungen gegen Jugendliche mit Migrationshintergrund - das Spektrum sei breit und gerade Schulen im Bundesland stünden für die Beratungsteams derzeit im Fokus. Selbst für Grundschulen gebe es bereits entsprechende Anfragen. 

Schulen als Spiegel gesellschaftlicher Polarisierung

Für Becker spiegeln sich darin die gesellschaftliche Polarisierung, eine Gewöhnung an rechte Diskurse, die Lust auf Provokationen und Selbstdarstellung in Social Media wider. Für all diese gesellschaftlichen Entwicklungen sei Schule „ein Austragungsort“. Hinzu komme: „Wir haben es mit einem sehr starken jugendlichen Rechtsextremismus wieder zu tun“ - das mache sich auch in den Bildungseinrichtungen bemerkbar. Rechtspopulistische und rechtsextreme Positionen würden dort mittlerweile sicherer und selbstbewusster vorgetragen.

Für Vorfälle wie an der Liebigschule sollten sich Schulen aus Sicht Beckers deshalb wappnen - auch strukturell. Dazu gehörten Ansprechpartner, an die sich Schüler in solchen Fällen wenden können bis hin zu einer Offenheit für das Thema seitens der Schulleitung, die nicht abwiegeln sollte. „Das hört sich so banal an, aber das ist sehr, sehr entscheidend“, sagte Becker.

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