Arm trotz Arbeit: Vorurteile schmerzen Bürgergeldempfänger
Viele Menschen sind trotz eines Jobs auf Bürgergeld angewiesen. Bei wenig Lohn müssen sie auch noch mit Vorurteilen zurechtkommen. Experten warnen vor sozialen Folgen einer Bürgergeld-Reform.

Die alleinerziehende Mutter lebt in Chemnitz. Hendrik Schmidt/dpa
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Saskia Schaarschmidt macht es traurig, wenn Vorurteile über Bürgergeldempfänger in den Sozialen Medien oder anderswo auftauchen. Denn diejenigen, die eine Arbeitsaufnahme komplett verweigern, seien wohl nur eine kleine Minderheit, sagt die 25 Jahre alte Chemnitzerin. Die Debatte über das Bürgergeld sieht sie mit Sorge. „Ich finde es auch schade, dass die Gesellschaft so wenig auf die Bedürfnisse Betroffener eingeht.“
Schaarschmidt weiß, wovon sie redet. Die alleinerziehende Mutter eines vierjährigen Sohnes hat einen Beruf erlernt, der heute dringend gebraucht wird: Pflegefachkraft. Nach der Ausbildung arbeitete sie bei einer Zeitarbeitsfirma und verdiente 1.900 Euro netto im Monat. Dann wurde sie schwanger, schon in der Elternzeit bekam sie Bürgergeld.
Viele Bewerbungen blieben erfolglos
Gern hätte sie wieder im alten Job gearbeitet. Doch wegen ihres pflegebedürftigen Kindes fand sie trotz vieler Bewerbungen in Krankenhäusern und Pflegeheimen keine neue Stelle - wegen mangelnder Flexibilität. Da sie wegen fehlender familiärer Unterstützung bei der Kinderbetreuung weder 12-Stunden-Schichten noch Spät- oder Wochenenddienste leisten kann, ist sie für Arbeitgeber unattraktiv.
Schaarschmidt schulte um und arbeitet nun Teilzeit im Sicherheitsdienst. In einer städtischen Behörde kontrolliert sie die Termine der Bürger und hilft ihnen, an die richtige Stelle zu kommen. Die Arbeit macht ihr Spaß, weil sie dort mit Menschen zu tun hat und sie unterstützen kann.
Wenigstens das Kind soll alles haben
Im Vergleich zu ihrem früheren Verdienst als Pflegefachkraft nimmt sich das jetzige Einkommen eher bescheiden aus. „Ich kaufe oft gebrauchte Sachen. Es gab Momente gegen Monatsende, wo ich nur noch geschaut habe, dass wenigstens das Kind alles hatte.“ Freunde halfen ihr. Urlaub hat sie in den vergangenen vier Jahren nur ein einziges Mal gemacht - auf einem Bauernhof. Das sei wunderschön gewesen.
„Viele Leute sind nicht von sich aus im Bürgergeld gelandet, sondern hätten einfach keine andere Chance bekommen“, ist die 25-Jährige überzeugt. Sie könne es nachvollziehen, dass sich Arbeitgeber eine maximale Flexibilität wünschten. Dennoch gelte es auch die Bedürfnisse der anderen Seite im Blick zu behalten.
Nicht einfach über Empfänger von Bürgergeld urteilen
Schaarschmidt hätte es etwa sehr geholfen, wenn es im Pflegeheim eine Möglichkeit der Kinderbetreuung gegeben hätte. „Das wäre ja auch für die Bewohner sehr schön gewesen, wenn sie mit Kindern hätten zusammenkommen können.“ Forschungen hätten gezeigt, dass auch Pflegebedürftige davon profitieren könnten. Für die Zukunft wünscht sie sich vor allem zwei Dinge: Dass Arbeitgeber deutlich flexibler werden und Menschen über die Empfänger von Bürgergeld nicht so einfach urteilen, ohne mit Betroffenen mal ins Gespräch gekommen zu sein.
„Ob die Sozialleistung Hartz IV, Bürgergeld oder Grundsicherung heißt: Wer eine schwere Zeit durchmacht, verdient ein menschenwürdiges Existenzminimum“, sagt Susanne Schaper, Fraktionschefin der Linken im Landtag. Es gäbe Menschen, die sich total verweigerten, aber deren Zahl sei verschwindend gering. 2024 hätte gerade mal ein Prozent der sächsischen Bürgergeld-Bezieher eine Sanktion bekommen.
Mehr als 37.000 Bürgergeldempfänger in Sachsen gehen arbeiten
„Wir erleben bei diesem Thema eine Debatte, an deren Vergiftung sich sogar der Bundeskanzler beteiligt – so als wären die Millionen Menschen, die Bürgergeld brauchen, faul und würden im Luxus leben. Das ist unsäglich und ungerecht gegenüber den Betroffenen. Die übergroße Mehrheit bemüht sich darum, wieder auf eigenen Beinen zu stehen“, argumentiert Schaper. Tatsächlich seien viele von ihnen berufstätig. In den vergangenen Jahren stieg die Zahl Betroffener, 2024 betraf das gut 37.400 Menschen.
Schaper hält es für ein Unding, dass immer noch so viele Menschen im Freistaat Bürgergeld brauchen, obwohl sie arbeiten. Unternehmer, die ihren Beschäftigten einen ordentlichen Lohn vorenthielten, würden bisher von der Allgemeinheit alimentiert. „Das können und dürfen wir uns als Gesellschaft nicht länger leisten!“ Sachsen dürfe kein Niedriglohnland mehr sein – dafür müsse die Regierung Druck machen.
Linke sehen beim Bürgergeld eine vergiftete Debatte
„Infolge der vergifteten Debatte wollen CDU und SPD jetzt wieder stärker das Vermögen der Betroffenen angreifen, was deren Lebensleistung entwertet. Wer nach Jahrzehnten im Job arbeitslos wird, erhält für einige Zeit Arbeitslosengeld, danach droht unmittelbar der soziale Abstieg. Das ist nichts, wofür sich eine Regierung feiern sollte“, wertet Schaper die jüngsten Entscheidungen der Bundesregierung zum Bürgergeld.
Diakonie warnt vor sozialen Folgen der Bürgergeld-Reform
Die Diakonie Sachsen warnt vor sozialen Folgen der Bürgergeld-Reform und sieht in der geplanten Verschärfung der Sanktionen ein Risiko für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, besonders in den strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands. Restriktive Sanktionen dürften nicht im Vordergrund stehen. Sie träfen nicht nur Einzelpersonen, sondern könnten auch ganze Bedarfsgemeinschaften belasten. Kinder oder Partner, die keine Pflichtverletzungen begangen hätten, müssten geschützt werden.
„In Regionen mit hoher Armutsquote, niedrigen Löhnen und unsicheren Beschäftigungsverhältnissen droht die geplante Reform, das Vertrauen in den Sozialstaat weiter zu untergraben“, sagt Diakonie-Chef Dietrich Bauer. Wenn nun wieder Strafen und Leistungskürzungen in den Vordergrund rückten, würden „Menschen verunsichert und ausgegrenzt, statt gestärkt“. „Das ist sozialpolitisch falsch und widerspricht unserem Verständnis von sozialer Verantwortung.“
„Armutsfeste Grundsicherung“ statt neuer Sanktionen
Bauer fordert statt neuer Sanktionen eine „armutsfeste Grundsicherung“, Investitionen in langfristige Qualifizierungsprojekte und eine Sozialpolitik, die Familien stärkt und Wohnungslosigkeit verhindert. „Soziale Sicherheit ist kein Kostenfaktor, sondern die Basis unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts.“

Saskia Schaarschmidt macht es traurig, wenn Vorurteile über Bürgergeldempfänger in den Sozialen Medien oder anderswo auftauchen.Hendrik Schmidt/dpa
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Die alleinerziehende Mutter hätte gern wieder im alten Job gearbeitet. Doch wegen ihres pflegebedürftigen Kindes fand sie trotz vieler Bewerbungen keine neue Stelle.Hendrik Schmidt/dpa
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