Wirtschaft

„Kritische Infrastruktur“ - Startschuss für Rechenzentrum

Datensicherheit und geopolitische Herausforderungen: „Ohne Rechenzentren keine digitale Souveränität“, sagt ein Experte. Ein Großprojekt könnte den Standort Deutschland stärken. Und der hat es nötig.

15.09.2025

Mit einer Investition von zwei Milliarden Euro soll das künftige Großrechenzentrum in Hanau die immer schneller wachsende Nachfrage nach Rechnerleistung befriedigen und den Standort Europa im internationalen Wettbewerb mit den USA und China stärken.Michael Bauer/dpa

Mit einer Investition von zwei Milliarden Euro soll das künftige Großrechenzentrum in Hanau die immer schneller wachsende Nachfrage nach Rechnerleistung befriedigen und den Standort Europa im internationalen Wettbewerb mit den USA und China stärken.Michael Bauer/dpa

© Michael Bauer/dpa

Ein Klick, und die Lieblingsserie im Streamingdienst läuft. Ein paar Sekunden, und nach der Online-Bestellung ist die Bestätigung per E-Mail im Postfach. Hinter diesen scheinbar selbstverständlichen Abläufen steckt eine fast unsichtbare Infrastruktur: Rechenzentren. 

Vor allem im Rhein-Main-Gebiet, wo in Frankfurt einer der weltweit größten Internetknotenpunkte DE-CIX den Takt vorgibt, wächst der Markt rasant. Beinahe im Monatstakt entstehen neue Rechenzentren. Und jetzt kommt ein Schwergewicht dazu.

Mit einer Investition von rund zwei Milliarden Euro errichtet der französische Data4-Konzern in Hanau, rund 30 Autominuten von Frankfurt entfernt, ein Großrechenzentrum. Die Anlage, für die am Montag symbolisch der Grundstein gelegt wurde, wird nach Einschätzung des Digitalverbandes Bitkom einer der großen Anbieter von Rechenleistung in Deutschland.

Privatleute und Wirtschaft auf Rechenzentren angewiesen

Aktuell verfügen die Rechenzentren in Deutschland laut Bitkom über eine IT-Anschlussleistung von 2,7 Gigawatt, im Jahr 2030 werden es voraussichtlich 4,8 Gigawatt sein. „Kaum ein Unternehmen oder Privathaushalt kommt ohne die Leistungen von Rechenzentren aus, auch die öffentliche Verwaltung ist ohne Rechenzentren nicht mehr arbeitsfähig“, sagt Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst der Deutschen Presse-Agentur. Mit der digitalen Transformation der Wirtschaft und dem steigenden Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) komme ein weiterer wichtiger Faktor hinzu.

Der Bau von Rechenzentren hat eine strategische Bedeutung, die über rein wirtschaftliche Aspekte hinausgeht: Datensicherheit und digitale Souveränität lauten hier die Schlüsselworte. 

„Rechenzentren gehören zu den kritischen Infrastrukturen: Daten müssen in einer hochsicheren Umgebung gespeichert werden, der man vertrauen kann“, sagt Data4-Chef Olivier Micheli der dpa. Daher sei es immer besser, kritische Infrastrukturen im eigenen europäischen Hoheitsgebiet zu verwalten, als sich auf ausländische zu verlassen.

Deutschland droht, international den Anschluss zu verlieren

Data4 biete mit seinen europäischen digitalen Infrastrukturen eine Alternative zu amerikanischen oder chinesischen Anbietern. „Unsere Rechenzentren unterliegen den höchsten Datenschutzstandards und stellen sicher, dass die Souveränität der Campusse gewahrt bleibt“, erklärt der Konzernchef.

Deutschland muss nach Einschätzung von Bitkom aufpassen, in diesem Bereich nicht international den Anschluss zu verlieren. „Innerhalb Europas verfügt Deutschland über die höchsten Rechenkapazitäten. Aus internationaler Sicht verliert der Standort Deutschland aber eher an Bedeutung“, erklärt Wintergerst. So würden beispielsweise in den USA jedes Jahr zwei- bis dreimal so viele Kapazitäten neu zugebaut, wie in Deutschland überhaupt installiert seien. Auf Rang bei zwei der Rechnerkapazitäten liege China.

Bitkom-Chef: „Es ist höchste Zeit gegenzusteuern“

„Die internationalen Zahlen zeigen: Es ist höchste Zeit gegenzusteuern“, warnt der Bitkom-Chef. „Ohne Rechenzentren keine digitale Souveränität. Das wird angesichts der aktuellen geopolitischen Krisen überdeutlich.“ So wachse auch in der deutschen Wirtschaft die Sorge vor einer zu hohen Abhängigkeit von Cloud-Diensten aus dem Ausland. „Deutschland muss sich dringend aus einseitigen Abhängigkeiten lösen, auch bei digitaler Infrastruktur.“

Europa soll Kontrolle über seine digitale Souveränität behalten

Das entstehende Großrechenzentrum in Hanau könnte, da sind sich der deutsche Branchenverband und der französische Konzern einig, einen wichtigen Beitrag dazu leisten. „Wir legen den Grundstein für die digitale Technologie und das Internet in Europa und ermöglichen es unserem Kontinent, die Kontrolle über seine digitale Infrastruktur und Souveränität zu behalten“, betont Konzernchef Micheli.

Region Frankfurt „Herzstück der digitalen Industrie in Europa“

Die Region Frankfurt und damit auch Hanau sind in seiner Einschätzung „nach wie vor das Herzstück der digitalen Industrie in Europa“, auch wenn weitere Städte in Deutschland im Kommen seien. Die Pluspunkte des Rhein-Main-Gebiets: „Die Energieversorgung ist hier gesichert, die vorhandenen Netzwerke sind effizient und die lokalen Behörden stehen der Ansiedlung von Rechenzentren positiv gegenüber“, zählt Micheli auf.

Laut Bitkom ist die Metropolregion Frankfurt der Rechenzentrums-Standort Nummer eins in Deutschland: Aktuell konzentriert sich hier eine IT-Anschlussleistung von rund 1.050 Megawatt, was mehr als einem Drittel der deutschen Gesamtleistung entspricht. 180 Megawatt - also gut 17 Prozent der aktuellen Leistung - wird das neue Rechenzentrum in Hanau nach Fertigstellung draufpacken. 

Das Netzwerk des französischen Investors wird nach eigenen Angaben in den kommenden Jahren mehr als 50 Rechenzentren in Europa umfassen. „Es verbindet die südlichen Mittelmeerländer wie Griechenland, Italien und Spanien, verläuft dann durch Frankreich und erreicht über Deutschland und Polen Nord- und Osteuropa“, sagt der Konzernchef.

„Wir wollen der europäische Leuchtturm sein“, sagte die hessische Digitalministerin Kristina Sinemus (CDU) bei der Feierstunde in Hanau. Sie hob die enge französisch-deutsche Zusammenarbeit bei dem Projekt und die Bedeutung der digitalen Souveränität für Deutschland und die EU hervor.

Stromschlucker 

Der hohe Stromverbrauch der Rechenzentren ist für die Betreiber eine Herausforderung. Der jährliche Stromverbrauch der neuen Anlage in Hanau könnte laut Data4 bei voller Auslastung einmal ungefähr so hoch sein wie derjenige der rund 100.000 Einwohner zählenden Stadt Hanau. Das Zentrum soll nach Konzernangaben zu 100 Prozent mit Energie aus emissionsfreien Quellen betrieben und die Abwärme für die Bürgerinnen und Bürger als Fernwärme nutzbar gemacht werden. 

Viele Hürden seien auf diesem Weg bei den Verhandlungen zwischen Data4 und den Stadtwerken schon aus dem Weg geräumt worden, erklärte der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD). „Gelingt dieses Modellprojekt, nimmt Hanau eine Vorreiterrolle in der Wärmewende ein.“

„Die Betreiber von Rechenzentren bemühen sich längst um mehr Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit – eine möglichst hohe Energieeffizienz liegt aufgrund der hohen Stromkosten in ihrem ureigenen Interesse“, betont Bitkom-Präsident Wintergerst. Die Treibhausgas-Emissionen deutscher Rechenzentren seien in den Jahren 2014 bis 2024 trotz des starken Zubaus von Kapazitäten tendenziell leicht gesunken. Dies sei vor allem auf eine Versorgung mit Strom aus erneuerbaren Ressourcen und eine bessere Energieeffizienz zurückzuführen.

Rechenzentren gelten als das digitale Rückgrat der modernen Gesellschaft. (Symbolbild)Marijan Murat/dpa

Rechenzentren gelten als das digitale Rückgrat der modernen Gesellschaft. (Symbolbild)Marijan Murat/dpa

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Der Rechenzentrums-Markt in Deutschland wächst rasant. (Symbolfoto)Marijan Murat/dpa

Der Rechenzentrums-Markt in Deutschland wächst rasant. (Symbolfoto)Marijan Murat/dpa

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