Schutz vor Gewalt: Was die Fußfessel leistet - und was nicht
Mit der elektronischen Fußfessel will Baden-Württemberg Opfer von Gewalt besser schützen. Was das neue Gesetz vorsieht – und wo die Grenzen der Technik liegen.
Der Landtag berät erstmals über einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf von CDU, Grünen, SPD und FDP über elektronische Fußfesseln für potenzielle Gewalttäter. (Illustration)Andreas Arnold/dpa
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Drohungen, Schläge, Vergewaltigungen, im schlimmsten Fall auch Mord – nicht in dunklen Ecken, sondern zu Hause: Im vergangenen Jahr wurden in Baden-Württemberg 18.538 Mädchen und Frauen von Partnern, Ex-Partnern oder Verwandten misshandelt. Im Schnitt sind das mehr als 50 pro Tag – und das ist nur die bekannte Zahl.
„Diese Gewalt ist eine Pandemie, die bekämpft werden muss“, sagte die Grünen-Abgeordnete Fadime Tuncer bei einer Debatte über ein neues Gesetz zum besseren Schutz von Frauen in Baden-Württemberg.
Auf der Suche nach Wegen aus dieser Spirale der Gewalt setzen vier der fünf Fraktionen im Landtag nun auf die elektronische Fußfessel für potenzielle Gewalttäter. Mit ihrem Gesetzentwurf folgen CDU, Grünen, SPD und FDP mehreren anderen Bundesländern, auch der Bund plant eine entsprechende Änderung.
Der Plan
Künftig soll die Fußfessel nach richterlichem Beschluss auch bei häuslicher oder partnerschaftlicher Gewalt sowie in Stalking-Fällen angeordnet werden können. Bisher ist das nur bei terroristischen Gefährdern möglich.
Opfer sollen über ein Empfangsgerät gewarnt werden, wenn sich der potenzielle Täter nähert. So können sie sich rechtzeitig in Sicherheit bringen, während die Polizei automatisch alarmiert wird. Nach dem von der SPD eingebrachten Entwurf soll die Maßnahme bei Hochrisikofällen und zunächst für höchstens sechs Monate gelten, verlängerbar um je drei Monate.
Andere Bundesländer wie Hessen, Sachsen oder Bayern haben ähnliche Regelungen bereits umgesetzt. Auf Bundesebene gibt es nach SPD-Angaben ein Gesetz, das jedoch einen Antrag der gefährdeten Person und nicht der Polizei voraussetzt. Hier ist eine Reform geplant - der baden-württembergische Entwurf ist auf diese Änderungen bereits abgestimmt.
Die Erweiterung
Möglich wäre aus Sicht der CDU-Fraktion auch, das Erstellen sogenannter Bewegungsbilder zu erlauben. Andere Stimmen äußerten Kritik daran. Dazu werden die Bewegungsdaten – meist des potenziellen Täters – aus den Daten der Fußfessel analysiert, um nachvollziehen zu können, wo sich eine Person regelmäßig aufhält, welche Wege sie nimmt oder welche Orte sie frequentiert. So könnten Muster und Auffälligkeiten erkannt und Gefahren besser eingeschätzt werden.
„Solche Bewegungsbilder ermöglichen es, Annäherungsversuche frühzeitig zu erkennen“, sagte auch Innenminister Thomas Strobl (CDU). Er räumte aber ein: „Wir sollten uns fragen, was überwiegt: Die Freiheit des Täters, unbeobachtet zu bleiben. Oder die Freiheit des Opfers, ohne Angst zu leben.“
Die Technik
Die Fußfessel des Täters kann in Echtzeit mit einem GPS-Gerät des Opfers kommunizieren. Über Satellitensignal (GPS) kann der Träger jederzeit geortet werden. Auf die Daten darf allerdings nur zugegriffen werden, wenn das System Alarm schlägt. Nach zwei Monaten müssen sie gelöscht werden.
Eine Fessel kann - je nach gesetzlicher Vorgabe - so programmiert werden, dass der Träger Zonen nicht verlassen oder nicht betreten darf, dafür lassen sich auch Zeiten festlegen. So kann etwa kontrolliert werden, dass sich jemand, der Kinder missbraucht hat, keinem Spielplatz mehr nähert. Einmal angelegt, lässt sich eine Fußfessel nicht öffnen.
Das Vorbild
Der Entwurf orientiert sich am sogenannten „spanischen Modell“. Dort wird nicht ein Ort, sondern der Abstand zwischen Täter und Opfer überwacht: Begibt sich der Täter in die Nähe des Opfers, wird die Polizei alarmiert, das Opfer erhält eine Warnung. Seit Einführung 2009 sank in Spanien die Zahl der ermordeten Frauen nach Angaben von Polizei und Behörden deutlich; keine Teilnehmerin des Programms wurde getötet. Rund 95 Prozent der Frauen gaben an, sich sicherer zu fühlen.
Die Bedenken
Sosehr die Fußfessel Opfern Schutz bietet, greift sie zugleich in die Rechte des Täters ein. „Zum einen kann ein Opfer sich subjektiv sicherer fühlen“, sagt Jörg Kinzig, Direktor des Kriminologischen Instituts der Universität Tübingen. „Zum anderen ist das ein schwerwiegender Grundrechtseingriff – in diesem Spannungsverhältnis bewegen wir uns.“
Zudem liege die Verpflichtung zum Tragen im Prognosebereich: „Es handelt sich ja nicht um aktuell verurteilte Straftäter“, betont Kinzig, der die Bundesregierung zum Thema berät.
Die Grenzen
Ob die Fußfessel Täter tatsächlich abschreckt, ist offen. Das könne der Fall sein, müsse aber nicht, sagt Kinzig: „Wenn jemand sich entschlossen hat, eine andere Person zu töten, wird er das möglicherweise auch tun, wenn er eine Fußfessel hat.“ Er spricht von einem „Stein von vielen“. „Ich würde davor warnen zu sagen: Jetzt haben wir ja die Fußfessel – und können auf andere Maßnahmen verzichten.“
Auch der Weiße Ring sieht sie nicht als Ersatz: „Es wäre ein wichtiger Baustein, der das Risiko der Gewalt reduzieren würde“, sagt der Landesvorsitzende Hartmut Grasmück. Ebenso wichtig: Annäherungsverbote, Schutzräume und Beratungen.
Das sehen auch die baden-württembergischen Parteien so: „Leider Gottes wird es nicht das Allheilmittel sein. Aber es ist ein Mittel“, sagte die FDP-Abgeordnete Julia Goll im Landtag. „Und wenn es rechtlich zulässig und technisch möglich ist, dann müssen wir zu diesem Mittel greifen.“