Netanjahu blockiert unabhängige Untersuchung zum 7. Oktober
Warum stößt der Regierungsvorschlag zur Untersuchung des Massakers am 7. Oktober auf heftigen Widerstand? Angehörige fordern lückenlose Aufklärung, doch die Regierung setzt auf ihre eigene Kommission.
Gedenktafeln stehen auf dem Gelände der Nova Festival Memorial Gedenkstätte. (Archivbild)Elisa Schu/
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Mehr als zwei Jahre nach dem beispiellosen Massaker der islamistischen Terrororganisation Hamas und anderer Extremistengruppen in Israel verweigert der Ministerpräsident Benjamin Netanjahu weiterhin eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle. Statt der Einrichtung einer staatlichen Untersuchungskommission befürwortet der 76-Jährige die Ernennung einer Regierungskommission.
Ein zuständiger Ministerausschuss billigte einen entsprechenden Gesetzesentwurf eines Abgeordneten der rechtskonservativen Regierungspartei Likud, wie das Nachrichtenportal „ynet“ berichtete. Am Mittwoch sei eine vorläufige Abstimmung darüber im Parlament vorgesehen.
Kritik von Experten, Opposition und Angehörigen
Der Schritt wird von Experten, Opposition und Angehörigen ehemaliger Geiseln und Todesopfer des 7. Oktober scharf als Vertuschungsversuch kritisiert. Kritiker werfen Netanjahu und seiner Koalition vor, keine persönliche Verantwortung für das politische und militärische Versagen während des Hamas-Terrorüberfalls zu übernehmen.
Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara erklärte in einer Stellungnahme, der vorgeschlagene Gesetzentwurf sei „voller erheblicher Mängel“, die es den Ermittlern unmöglich machten, den Geschehnissen vom 7. Oktober 2023 auf den Grund zu gehen und daraus belastbare Schlussfolgerungen zu ziehen.
Ihrer Ansicht nach stellt der Vorschlag der Regierung politische Erwägungen über die Grundsätze einer unabhängigen und professionellen Untersuchung. Zudem erfülle der Gesetzentwurf in seiner derzeitigen Fassung nicht die Voraussetzungen für einen wirksamen und glaubwürdigen Bericht.
Netanjahu hatte dagegen argumentiert, eine staatliche Untersuchungskommission genieße nicht die Unterstützung einer breiten Öffentlichkeit.
Der israelische Oppositionsführer Jair Lapid. (Archivbild)Evelyn Hockstein/Pool Reuters/AP/dpa
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Oppositionsführer: Klarer Interessenkonflikt
Der israelische Oppositionsführer Jair Lapid kritisierte, es gebe „keinen klareren und schwerwiegenderen Interessenkonflikt als den des Regierungschefs vom 7. Oktober und seiner Minister“. Eine staatliche Untersuchungskommission müsse eingesetzt werden, „wenn nicht jetzt, dann in der ersten Woche unserer Regierung“, sagte er mit Blick auf Neuwahlen im kommenden Jahr.
Angehörige fordern unabhängige Aufklärung
Jonathan Polin, der Vater von Hersh Goldberg-Polin, der in der Gefangenschaft der Hamas ermordet wurde, hat nach Angaben von „ynet“ eine unabhängige Untersuchung gefordert. In einer Demokratie könnten staatliche und politische Entscheidungsträger sich nicht selbst untersuchen, erklärte er. Dies geschehe nur in Ländern, in denen Führungskräfte „vor etwas Angst haben“. Er sagte zudem: „Ich unterstütze die Einsetzung einer staatlichen Untersuchungskommission nicht, um jemanden zu bestrafen, und nicht, weil sie mir meinen einzigen Sohn zurückbringen würde.“ Es gehe vielmehr darum, dass „nichts von dem, was meinem Sohn widerfahren ist, jemals wieder geschehen darf“.
Bei dem Massaker am 7. Oktober 2023 wurden rund 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 weitere in den Gazastreifen verschleppt. Der Überfall gilt als Auslöser des zweijährigen Gaza-Kriegs. Seit Beginn des Kriegs sind nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 70.000 Palästinenser im Gazastreifen getötet worden.