Politik Inland

Nach heimlichem Po-Video: NRW will Strafen für Voyeur-Bilder

Ein Mann filmt im Frühjahr den Po einer joggenden Kölnerin. Anzeigen kann sie ihn nicht, weil das Verhalten laut Polizei nicht strafbar ist. Der Landtag erörtert, warum sich das ändern sollte.

06.11.2025

Benjamin Limbach und Yanni Gentsch. Nordrhein-Westfalen will sich in der anstehenden Justizministerkonferenz der Länder nachdrücklich für Strafen bei heimlichen voyeuristischen Aufnahmen und sexistischer Anmache auf offener Straße einsetzen. (Archivfoto)Federico Gambarini/dpa

Benjamin Limbach und Yanni Gentsch. Nordrhein-Westfalen will sich in der anstehenden Justizministerkonferenz der Länder nachdrücklich für Strafen bei heimlichen voyeuristischen Aufnahmen und sexistischer Anmache auf offener Straße einsetzen. (Archivfoto)Federico Gambarini/dpa

© Federico Gambarini/dpa

Darf es straffrei bleiben, wenn andere heimlich draußen Po-Bilder und -Videos aufnehmen - ein ungewöhnliches Thema für den nordrhein-westfälischen Landtag. In einer Aktuellen Stunde fiel die Antwort der Fraktionen eindeutig aus: Nein. 

NRW wird gemeinsam mit Hamburg in der Herbstsitzung der Justizminister an diesem Freitag einen Antrag zur Abstimmung stellen, um Schutzlücken im Strafgesetzbuch zu schließen und das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zu stärken. „Mit dem Beschlussvorschlag fordern wir den umfassenden Schutz vor sexuell motivierten Belästigungen - auch ohne Körperkontakt“, erläuterte Justizminister Benjamin Limbach (Grüne). Deshalb müsse es Strafen geben bei heimlichen voyeuristischen Aufnahmen und sexistischer Anmache auf der Straße.

Mutige junge Frau stellt ihren Verfolger

Einen Anlass für die Debatte und die justizpolitischen Initiativen hat eine couragierte junge Frau aus Köln geliefert und damit möglicherweise einen Mosaikstein beigetragen, um Rechtsgeschichte zu schreiben: Im Februar ist Yanni Gentsch auf ihrer üblichen Joggingstrecke im Kölner Grüngürtel unterwegs, als sie irgendwann bemerkt, dass ein Radfahrer ihr dicht auf den Fersen ist - mit Kamera-Fokus auf ihrem Po. 

Die Kölnerin fackelt nicht lange, packt seinen Lenker und stellt den verblüfften Mann zur Rede - während sie die Konfrontation selbst filmt. Der sich daraufhin entspinnende Schlagabtausch wurde seitdem zigtausendfach auf verschiedensten Portalen geklickt, geteilt und kommentiert - so auch im Landtag.

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Die entscheidenden und für diese Form der Belästigung typischen Szenen gehen so: Zuerst streitet der Radfahrer ab, die junge Frau in ihren engen Sport-Leggins gefilmt zu haben, während er versucht, sein Handy in der Jackentasche verschwinden zu lassen: „Hab‘ ich nicht.“

Der Klassiker: „Warum ziehen Sie denn dann so eine Hose an?“

Dann kommt der Satz, der die Abgeordneten im Landtag aufregt: „Warum ziehen Sie denn dann so eine Hose an?“, gibt er zurück. Gentsch antwortet entnervt: „Weil ich laufen gehe.“ Und er: „Ja, es gibt ja auch normale Hosen.“ Doch Gentsch lässt ihn nicht weiterfahren, bis er sein Video vor ihren Augen gelöscht hat.

„Ich bin es leid, im Jahr 2025 noch derartige Rechtfertigungen zu hören, mit denen dem Opfer die Schuld gegeben wird und ich bin es leid, dass wir ständig unseren Töchtern Ratschläge geben, wie sie sich kleiden sollen, damit sie nicht belästigt werden“, kommentierte Limbach das Video. „Täter-Opfer-Umkehr“ nannte das Grünen-Fraktionschefin Verena Schäffer.

Frauenrechte „bislang nicht mal ein Knöllchen wert“

Als Gentsch den Übergriff bei der Polizei anzeigen will, wird sie belehrt, das Verhalten des Mannes sei nicht strafbar, weil sie bekleidet und im öffentlichen Raum unterwegs gewesen sei. 

Für Limbach ein Unding. „In Deutschland wird man bestraft, wenn man ohne Fahrschein öffentliche Verkehrsmittel nutzt - wenn es um Voyeuraufnahmen geht, ist uns das bislang nicht mal ein Knöllchen wert“, kritisierte er. „Diese Rechtslage kann nicht richtig sein.“ Solche Aufnahmen verletzten Frauen in ihrem Schamgefühl, in ihrer Würde und letztendlich in ihrer Freiheit. „Die Betroffenen werden zu Sexualobjekten herabgewürdigt“, unterstrich Limbach. „Es reicht. Das muss sich ändern.“

Einer Frau reicht es: Petition gegen Voyeure trifft den Nerv

Bereits im Sommer hatte Gentsch ihm eine Petition übergeben mit dem Ziel, solche Voyeur-Aufnahmen unter Strafe zu stellen. Diese Petition habe mittlerweile fast 140.000 Unterstützerinnen und Unterstützer, sagte Limbach. „Sie zeigt, dieses Thema trifft einen Nerv in unserer Gesellschaft und fordert uns zum Handeln auf.“

Die Kölnerin Yanni Gentsch wurde beim Joggen von einem Voyeur belästigt, der ihr Gesäß filmte, konnte aber bei der Polizei keine Strafanzeige erstatten. (Archivbild)Federico Gambarini/dpa

Die Kölnerin Yanni Gentsch wurde beim Joggen von einem Voyeur belästigt, der ihr Gesäß filmte, konnte aber bei der Polizei keine Strafanzeige erstatten. (Archivbild)Federico Gambarini/dpa

© Federico Gambarini/dpa

Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) hatte Anfang der Woche bereits angekündigt, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Formen des digitalen Voyeurismus künftig strafrechtlich erfassen soll. 

AfD: „Es bedarf keines Mimosenschutzes“

Breite überparteiliche Unterstützung für die Initiativen von Bund und Land kam von den Landtagsfraktionen von CDU, SPD, Grünen und FDP. Die AfD bejaht zwar im Grundsatz, das Frauen vor heimlichen intimen Fotos geschützt werden müssten. Ihr Abgeordneter Sven Tritschler warnte aber auch vor überzogenen neuen Gesetzen: „Es bedarf keines Mimosenschutzes.“

Anhand mehrerer Beispiele kritisierte er, „was heutzutage schon so alles als Sexismus gilt in manchen Kreisen“, und spottete: „Also meine Herren, wenn Sie Ihrer Gattin zu Hause bald ein Kompliment machen, seien Sie vorsichtig - CDU und Grüne werden sie dafür möglicherweise ins Gefängnis stecken.“

Es kann jeden treffen

Wenig lustig findet die CDU-Abgeordnete Angela Erwin die Bedrohung. „Digitale Belästigung ist real und kann jeden von uns treffen: Frauen auf dem Heimweg, Jugendliche bei Konzerten, in Badekleidung am Baggersee“, warnte die Juristin. Fast jeder habe heutzutage ein Smartphone dabei und könne in Sekunden heimlich aufgenommene Bilder verbreiten.

„Es muss jedem möglich sein, das Haus zu verlassen, ohne Bedenken zu haben, angesprochen, belästigt oder gefilmt zu werden“, unterstrich der FDP-Abgeordnete Werner Pfeil. „Es muss möglich sein, auch in einer eng anliegenden Radlerhose joggen zu gehen. Es muss möglich sein, auch in einem kurzen Kleid auszugehen.“

Helden gesucht

Vizefraktionschefin Lisa-Kristin Kapteinat lobte solche Äußerungen: „Wir brauchen Männer, die den Mund aufmachen und sich an unsere Seite stellen.“