Landkreise warnen vor Leitstellen-Fusion in Sachsen-Anhalt
Wie wichtig sind Ortskenntnisse, wenn es um Notarzteinsätze in Sachsen-Anhalt geht? Warum viele Landkreise eine Fusion der Leitstellen ablehnen und wie die Notfallversorgung verbessert werden kann.
In Sachsen-Anhalt gibt es deutlich mehr Notarzteinsätze je 1.000 Einwohner als im bundesweiten Durchschnitt. (Archivbild)Julian Stratenschulte/dpa
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Nach der Vorstellung eines Gutachtens zu Notarzteinsätzen ziehen Sachsen-Anhalts Landkreise unterschiedliche Schlüsse aus den Daten. Teilweise übten Vertreter der Landkreise deutlich Kritik an dem Papier. „Die vorgestellten Eckpunkte besitzen lediglich Entwurfscharakter – und genau so unfertig wirken sie auch“, teilte etwa der Landkreis Wittenberg auf Anfrage mit. Zahlreiche Annahmen stimmten nicht mit der Realität überein.
Mehrere Landkreise sprechen sich gegen eine Zentralisierung der Leitstellen aus. Doch wie kann die Notfallrettung in Sachsen-Anhalt besser organisiert werden? Darum geht es bei der Debatte.
Was ist das Problem bei der notärztlichen Versorgung in Sachsen-Anhalt?
Das größte Problem sind die Reaktionszeiten. Es dauert zu lange, bis Rettungseinsätze tatsächlich starten, wie Gutachter bei einer Analyse zur Optimierung der Notarztstandorte feststellten. Zwischen dem Eingehen eines Notrufs und dem Auslösen des Rettungseinsatzes vergehen in Sachsen-Anhalt im Schnitt rund 104 Sekunden, während es sonst 60 Sekunden im deutschsprachigen Raum sind. Zudem gibt es in Sachsen-Anhalt pro 1.000 Einwohner deutlich mehr Notarzteinsätze als anderswo - jährlich 42,2. Bundesweit liegt der Durchschnitt nur bei 26,4 Einsätzen.
Welche Reformen sind denkbar?
Die Krankenkassen fordern verbindliche, wissenschaftlich fundierte Standards für Abläufe im Rettungsdienst. Außerdem wird diskutiert, die Zahl der Leitstellen zu reduzieren, um die Qualität zu steigern. Allerdings gibt es Widerstand von Landräten gegen eine solche Konzentration.
Wo wird bereits enger zusammengearbeitet?
Im Norden gibt es bereits eine gemeinsame Leitstelle des Altmarkkreises Salzwedel und des Landkreises Stendal. Auch der Saalekreis und die Stadt Halle wollen die Zusammenarbeit durch Fusionierung voraussichtlich im Jahr 2028 vertiefen. Gesundheitsexperten halten zwei oder drei Leitstellen im Land insgesamt für ausreichend.
Warum sind die Landkreise gegen eine Zentralisierung der Leitstellen?
Die Mitarbeiter in den insgesamt 13 Leitstellen kümmern sich nicht nur um medizinische Notfälle, sondern auch um Brände und den Katastrophenschutz. In den Kreisen halten viele Akteure Ortskenntnis dabei für unverzichtbar. Zwei Leitstellen für das gesamte Bundesland seien nicht zielführend, um die Menschen in der Fläche zu versorgen, teilte etwa der Landkreis Stendal auf Anfrage mit.
Auch aus dem Burgenlandkreis kommen ähnliche Töne. Man begrüße zwar eine engere Zusammenarbeit der Leitstellen. Erfahrungen aus anderen Bundesländern zeigten jedoch, dass Zusammenlegungen etwa bei Sturmereignissen oder Hochwasser dazu führen könnten, „dass koordinierende Stellen vor Ort fehlen und damit die Lagebewältigung erschwert wird“.
Ähnlich schätzt man die Situation im Osten des Landes ein. „Leitstellen sind keine Telefonzentralen, sondern das operative Nervensystem für Feuerwehr, Großschadenslagen, Katastrophenschutz, Führungsunterstützung und die Koordination komplexer Einsatzlagen“, sagte ein Sprecher des Landkreises Wittenberg. Großflächige Fusionen würden Kommunikationswege verlängern, Reaktionsfähigkeit reduzieren und wertvolle Ortskenntnis verlieren lassen. „Der Landkreis Wittenberg lehnt eine Leitstellenfusion daher klar ab.“
Wie sind die längeren Reaktionszeiten zu erklären?
Im Landkreis Harz verweist man darauf, dass das Netz an Haus- und Fachärzten dünner wird und die Gebiete für Bereitschaftsdienste größer werden. Deshalb sei „eine zeitlich akzeptable Erreichbarkeit der Patienten oft nicht mehr gegeben“, sagte ein Sprecher. „Dies führt dazu, dass dringende medizinische Leistungen verstärkt durch die Notfallrettung und somit auch durch Notärzte wahrgenommen werden müssen.“
Manche Regionen sehen bei dem Thema keinen großen Handlungsdruck. Bei den Ausrückzeiten liege man 35 Sekunden besser als der Landesdurchschnitt, teilte etwa der Landkreis Mansfeld-Südharz mit.
Welche Maßnahmen können helfen?
Eine Möglichkeit ist, Mitarbeiter in den Leitstellen konsequenter zu schulen. Nach Einschätzung von Gesundheitsexperten werden Notärzte aber auch zu oft zu Einsätzen geschickt, die Rettungssanitäter allein oder mit telemedizinischer Unterstützung bewältigen könnten. Der Burgenlandkreis hat etwa gute Erfahrungen mit dem Gemeindenotfallsanitäter gemacht. Diese speziell ausgebildeten Fachkräfte werden bei Notfällen eingesetzt, bei denen der Patient nicht zwingend ins Krankenhaus transportiert werden muss.
Zudem soll auch an anderen Stelle nachgerüstet werden. „Wir gehen davon aus, dass die Einführung eines landesweit einheitlichen Abfrage- und Dispositionssystems – wie im Gutachten vorgeschlagen – zu einer Verbesserung der Abläufe beitragen wird“, sagte eine Sprecherin des Burgenlandkreises.
Wie geht es jetzt weiter?
Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) hat angekündigt, das Gutachten intensiv mit allen Akteuren im Rettungsdienst auswerten zu wollen. „Für deren Umsetzung werden wir tragfähige Lösungen entwickeln“, sagte sie.
Eine Handlungsempfehlung ist eine engere Kooperation der Leitstellen. Im Zuge der Novellierung des Rettungsdienstgesetzes sollen die Träger des Rettungsdienstes verpflichtet werden, sich mit den ihnen angrenzenden Kommunen bei der Planung der Notarztstandorte abzustimmen. Ob weitere Reformen erfolgen, ist offen.