Gut reagiert? Wie Drosten und Wieler die Pandemie sehen
Drosten staunte über die geringe Immunität nach Erstinfektion, Wieler kritisiert späte Reaktionen vor Winterwellen. Ein Untersuchungsausschuss in Thüringen will Lehren aus der Corona-Pandemie ziehen.
Der Virologe Christian Drosten stand den Thüringer Abgeordneten im Corona-Untersuchungsausschuss Rede und Antwort. Martin Schutt/dpa
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Was lief gut, was eher nicht? Ein Untersuchungsausschuss in Thüringen will Fehler in der Corona-Politik während der Pandemie aufklären und Lehren für die Zukunft ziehen. Nach Einschätzung des Virologen Christian Drosten war das frühe Hochfahren von Infektionsschutzmaßnahmen im Jahr 2020 vor der ersten Infektionswelle auch im Rückblick erfolgreich. Es sei eine „massive Zahl“ von rund 60.000 Menschenleben in der ersten Infektionswelle gerettet worden.
60.000 Menschen gerettet
Drosten präsentierte den Abgeordneten Zahlen zu Großbritannien und Deutschland im Vergleich. Die Briten warteten damals etwa drei Wochen länger mit dem Hochfahren von harten Infektionsschutzmaßnahmen als die Deutschen. Der Virologe rechnete vor, dass es in Deutschland im betrachteten Zeitraum wohl rund 70.000 Tote gegeben hätte statt der rund 9.300, wenn es den Weg Großbritanniens gegangen wäre und mit Maßnahmen noch abgewartet hätte. „Ich kann also deutlich sagen: Es wäre ein Fehler in der politisch-verantwortlichen Infektionskontrolle zu warten, bis das Gesundheitssystem erste Überlastungsanzeichen zeigt“, sagte Drosten im Thüringer Untersuchungsausschuss.
Vor Winterinfektionswellen zu spät gehandelt
In der gesamten Pandemie habe es etwas unter 180.000 Tote in Deutschland gegeben. „Wir hätten viel mehr erwarten müssen und haben viele, viele Menschenleben in dieser ersten Welle gerettet – alleine durch dieses frühe Eingreifen“, sagte Drosten. Der 53-Jährige ist Direktor des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin und war im Thüringer Landtag als Sachverständiger geladen. Er war nicht der einzige prominente Gast im Untersuchungsausschuss.
Der damalige Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, sagte, er sehe zwei Zeitpunkte, an denen die Politik hätte früher reagieren müssen – vor den beiden Winter-Infektionswellen 2021 und 2022. „Das ist meine feste Überzeugung“, sagte er, damals sei zu spät gehandelt worden.
Impfstoff kam früher als gedacht
Der Corona-Untersuchungsausschuss soll Fehler und Versäumnisse der Politik in der Corona-Pandemie aufklären und Handlungsempfehlungen für die Zukunft ableiten. Neben dem Untersuchungsausschuss gibt es in Thüringen noch eine Enquete-Kommission, die auf die Erfahrungen blickt, die in der Corona-Pandemie gesammelt wurden, und Handlungsempfehlungen für künftige Pandemie- oder sonstige Gesundheitskrisenlagen erarbeiten soll.
Wieler sagte, das RKI sei davon ausgegangen, dass eine Pandemie mit dem Corona-Virus lange dauern würde – mindestens zwei Jahre. „Eine Pandemie kann man nicht einfach mathematisch berechnen“, sagte er. Es komme beispielsweise auf das Verhalten der Menschen an. Sowohl Wieler als auch Drosten betonten, dass am Anfang der Pandemie nicht damit gerechnet werden konnte, so schnell einen Impfstoff zur Verfügung zu haben.
Flächendeckende Impfungen begannen in Deutschland im Laufe des Jahres 2021, die ersten Impfdosen wurden noch Ende des Jahres 2020 verabreicht. Später war die Rede von einer „Pandemie der Ungeimpften“. Wieler betonte im Untersuchungsausschuss, dass das RKI den Begriff nicht als korrekt ansah. „Im Robert Koch-Institut hatten wir nicht die Ansicht, dass es eine Pandemie der Ungeimpften ist“, sagte Wieler.
Spahn benutzte Begriff
Der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte den Begriff verwendet – etwa im September 2021 bei Twitter: „Bei Inzidenz und auf Intensivstationen sehen wir: Wir erleben eine anwachsende Pandemie der Ungeimpften. Alle, die können, sollten sich ihren Schutz holen!“, schrieb Spahn damals. Inzwischen ist Spahn Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag.
Drosten war nach eigenen Worten verblüfft, wie wenig Schutz die Menschen nach einer ersten Corona-Infektion aufgebaut haben. „Mich hat das auch erstaunt, wie wenig Immunität eine einzelne Erstinfektion hinterlassen hat“, sagte er.
Hoffnung nicht erfüllt
Er habe gehofft und sich gewünscht, dass die Immunität größer ausgefallen wäre – vor allem für Länder des Globalen Südens. „In Deutschland war klar, dass bei diesem Letalitätsprofil, also bei dieser starken Sterblichkeit bei Älteren und bei unserer alten Bevölkerung, eine Durchseuchungsstrategie nicht denkbar ist“, sagte er.
In Ländern des Globalen Südens sei die Bevölkerung aber nicht so alt. „Da hatte ich gehofft, dass die Menschen schneller immun sind, wenn das Virus durchläuft.“ Dass das Virus aber so viele Jahre lang immer wieder in neuen Wellen auch in diesen Ländern grassierte, sei ihm nicht so klar gewesen. „Das habe ich in dem Ausmaß mir schöner, einfacher vorgestellt“, sagte der Virologe.
„Mich hat das auch erstaunt, wie wenig Immunität eine einzelne Erstinfektion hinterlassen hat“, sagte der 53-Jährige im Thüringer Corona-Untersuchungsausschuss. Martin Schutt/dpa
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Der frühere Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, stellte sich den Fragen der Abgeordneten im Thüringer Landtag.Martin Schutt/dpa
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