Cannabis-Schwarzmarkt bisher kaum verdrängt
Kiffen und Cannabis-Anbau sind inzwischen mit Auflagen für Erwachsene erlaubt. Jetzt liegt eine erste wissenschaftliche Überprüfung vor - und der Streit über die Legalisierung geht weiter.

Kiffen ist seit April 2024 mit vielen Vorgaben für Erwachsene legal. (Archivbild)Hannes P Albert/dpa
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Eineinhalb Jahre nach der umstrittenen Cannabis-Legalisierung in Deutschland sieht eine erste Auswertung keinen dringenden Korrekturbedarf - aber auch noch keine entscheidenden Effekte auf illegale Beschaffungswege. Es zeichne sich ab, dass die nun zulässigen Anbauvereinigungen „für die vom Gesetzgeber beabsichtigte Verdrängung des Schwarzmarktes bislang keinen relevanten Beitrag leisten“, heißt es in einem in Berlin vorgelegten Bericht. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) sprach von „bedenklichen Tendenzen“ und kündigte an, über möglichen Handlungsbedarf zu beraten.
Der Suchtforscher Jakob Manthey vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf sagte bei der Vorstellung der ersten Erkenntnisse, offensichtlich sei die Erwartung der meisten Expertinnen und Experten eingetreten: „Es passiert kurzfristig relativ wenig.“ Er erläuterte mit Blick auf das deutsche Modell der Legalisierung, dass man sich nach wie vor anstrengen müsse, um an Cannabis zu gelangen, das nicht an jeder Straßenecke verkauft werde.
Die noch von der Ampel-Koalition umgesetzte Legalisierung lässt seit 1. April 2024 Kiffen und Anbau für Volljährige mit vielen Beschränkungen zu. Erlaubt ist der Anbau von bis zu drei Pflanzen in Privatwohnungen. Aufbewahren darf man bis zu 50 Gramm Cannabis, unterwegs dabei haben 25 Gramm. Vorgeschrieben sind Abstände etwa zu Spielplätzen und Schulen, Konsum vor Minderjährigen ist verboten. Zulässig sind auch nicht-kommerzielle Anbauvereinigungen mit bis zu 500 Mitgliedern. Für Jugendliche unter 18 ist Cannabis weiterhin verboten.

Experten sehen bisher keinen dringenden Korrekturbedarf bei der Cannabis-Legalisierung.Britta Pedersen/dpa
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Die Evaluation war bereits im Gesetz festgelegt worden. Im Blick standen nun zunächst Folgen für den Kinder- und Jugendschutz und die Besitzmengen. „Die vorliegenden Ergebnisse lassen bis jetzt keinen dringenden Handlungsbedarf in Bezug auf die untersuchten Bereiche erkennen“, heißt es in dem Bericht des Forschungsverbunds, zu dem auch Experten des Uniklinikums Düsseldorf und des Instituts für Kriminologie der Uni Tübingen gehören. „Robuste Aussagen“ könnten noch nicht abgeleitet werden. Weitere Analysen sind vorgesehen.
Cannabis-Markt auf bis zu 823 Tonnen geschätzt
Die Produktion in Anbauvereinigungen, die seit Juli 2024 beantragt werden konnten, habe weniger als 0,1 Prozent des Gesamtbedarfs ausgemacht, heißt es in dem Zwischenbericht. Zwölf bis 14 Prozent seien durch medizinisches Cannabis gedeckt worden. Die Marktanteile des privaten Eigenanbaus und des Schwarzmarkts konnten noch nicht quantifiziert werden. Geschätzt wurde ein Gesamtbedarf für 2024 von 670 bis 823 Tonnen. Eine zentrale Rolle bei den Bezugsquellen nähmen weiter illegale Weitergaben im sozialen Umfeld ein.
Kinder und Jugendliche
Der Suchtforscher Daniel Kotz vom Uniklinikum Düsseldorf sagte mit Blick auf bisher vorliegende Daten, dass sich der sinkende Trend beim Anteil Cannabis konsumierender Jugendlicher nach der Teillegalisierung fortsetze. Laut Bericht gibt es Hinweise auf einen Rückgang bei cannabisbezogenen Meldungen an die Jugendämter - und auch bei Suchtberatungen, die Jugendliche in Anspruch nehmen. Ein möglicher Einfluss der Legalisierung auf akute oder chronische Gesundheitsprobleme bei Jugendlichen könne derzeit nicht bestimmt werden.
Gesundheitsschutz und Verkehr
Ein seit etwa 15 Jahren zu beobachtender Anstieg bei der Zahl erwachsener Konsumenten setze sich wahrscheinlich leicht fort, erläuterte Manthey. Genaue Implikationen für den Gesundheitsschutz besonders im Straßenverkehr ließen sich noch nicht bestimmen. Die Zahl der Unfälle unter Einfluss berauschender Mittel sei vor und nach Inkrafttreten des Gesetzes gestiegen, heißt es im Bericht - der konkrete Einfluss der Legalisierung sei mit weiteren Auswertungen zu ermitteln. Generell gibt es demnach Hinweise auf einen leichten Anstieg akuter Gesundheitsprobleme infolge von Cannabiskonsum unter Erwachsenen.

Der Marktanteil von Anbauvereinigungen ist laut Bericht bisher sehr gering. (Archivfoto).Jörn Hüneke/dpa
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Kriminalität und Besitzmengen
Der Tübinger Kriminologe Jörg Kinzig sprach von der quantitativ bedeutendsten Entkriminalisierung in der Geschichte der Bundesrepublik. Laut Bericht gaben nur wenige befragte Konsumenten an, gelegentlich gegen Konsumverbote zu verstoßen. Das Ahndungsrisiko sei auch verschwindend gering. Unter befragten Beamten von Polizei und Ordnungsbehörden monierten demnach viele praktische Probleme bei der Umsetzung. Die Besitzmenge von 25 Gramm sei zu groß und hinderlich für Ermittlungen. Eine Vereinfachung der Regeln und eine Harmonisierung mit Rauchverboten sei überlegenswert, empfiehlt der Bericht.
Gesundheitsministerin Warken sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Die Zwischenevaluation des Cannabisgesetzes zeigt trotz der teilweise noch fehlenden weiteren Datengrundlage bedenkliche Tendenzen.“ Deutliche Kritik von Sicherheitsbehörden an den Regelungen könne die Politik nicht einfach ignorieren. „Wir werden zusammen mit den Koalitionsfraktionen und den Sicherheitsbehörden möglichen Handlungsbedarf erörtern müssen.“
Die SPD-Rechtspolitikerin Carmen Wegge sagte indes, der Bericht bestätige, dass die Legalisierung „der richtige und längst überfällige Schritt“ gewesen sei. Der Ansatz bewähre sich, Konsumenten zu entkriminalisieren, Prävention zu stärken und Polizei und Justiz zu entlasten. Nachzusteuern sei aber etwa beim Zugang zu Anbauvereinigungen. Union und SPD haben im Koalitionsvertrag eine „ergebnisoffene Evaluierung“ des Gesetzes in diesem Herbst vereinbart.
Die Grünen-Fraktionsvize Misbah Khan hielt Warken vor, reflexhaft in alte Denkmuster einer überholten Verbotskultur zurückzufallen. Die Teillegalisierung habe „keine dramatischen negativen Auswirkungen auf unsere Gesellschaft gehabt“. Linke-Gesundheitspolitiker Ates Gürpinar sagte: „Panikmache rund um das Cannabisgesetz erweist sich einmal mehr als unbegründet.“ Zu hohe Hürden verhinderten aber, dass legale Strukturen tatsächlich Wirkung entfalten.