Politik Inland

248 Empfehlungen für mehr Chancengleichheit an NRW-Schulen

Ganztag, Digitalisierung, weniger Bürokratie: Eine Landtagskommission macht zahlreiche Vorschläge, wie die Bildungskluft zwischen Kindern ausgeglichen werden kann.

06.10.2025

Nordrhein-Westfalen will die Bildungschancen der Schülerinnen und Schüler verbessern. (Archivbild)Bernd Thissen/dpa

Nordrhein-Westfalen will die Bildungschancen der Schülerinnen und Schüler verbessern. (Archivbild)Bernd Thissen/dpa

© Bernd Thissen/dpa

Eine Bildungs-ID für Kinder von der Kita bis zum Schulabschluss und ein „Chancenjahr“ noch vor der Grundschule: Eine fraktionsübergreifende Enquetekommission des NRW-Landtags hat 248 Handlungsempfehlungen für mehr Chancengleichheit im Bildungssystem vorgelegt. Der Abschlussbericht der im Mai 2023 auf Antrag der SPD eingesetzten Kommission soll am Donnerstag im Plenum debattiert werden. 

Identifikationsnummern ab der Kita

Die Kommission schlägt die Einführung von Identifikationsnummern für Schülerinnen und Schüler zur Zielüberprüfung vor. Jedem Kind werde eine individuelle Nummer mit der Einschulung oder bereits in der Kita zugeteilt, die bis zum Schulabschluss gültig sei. Mit der ID sollen Förderbedarfe, in Anspruch genommene Unterstützungsangebote sowie Sprach- und Entwicklungstests im vorschulischen Bereich erfasst werden. Es gehe darum zu messen, nicht zu gängeln, heißt es. Die ID solle keine Kontrollfunktion über die Schüler ausüben, sondern messbarer machen, wo einzelne Schulen stehen. 

Ganztag in herausfordernden Lagen

Vor allem Kinder in sozialen Brennpunkten brauchen den Experten zufolge mehr Unterstützung. Die Kommission spricht sich für die Einführung von gebundenem Ganztagsunterricht in Schulen ab der höchsten Sozialindexstufe 9 bis mindestens Stufe 5 aus. Der Sozialindex in NRW gibt Auskunft darüber, welche Schulen als sozial besonders belastet gelten. Indikatoren sind etwa Kinder- und Jugendarmut im Einzugsgebiet oder der Anteil der Schüler mit nichtdeutscher Familiensprache.

Chancen schon für Kita-Kinder

Schon vor der Grundschule sollte es für Kinder mit Förderbedarf ein verpflichtendes Chancenjahr geben, empfiehlt die Kommission. Grundlage sollte für alle Kinder ab viereinhalb Jahren eine verpflichtende Prüfung ihres Entwicklungsstands sein, bei der sprachliche, motorische und sozial-emotionale Fähigkeiten untersucht würden. Deutsch solle vor dem Grundschuleintritt erlernt werden. Die Stärkung der Kinder beginne schon in der Kita, sagte der SPD-Bildungsexperte Frank Müller. „Hier ist der Ort, der Ungleichheit ausgleichen kann. Hier startet der Weg zu mehr Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit.“ 

Digitale Endgeräte an weiterführenden Schulen

Digitalisierung: Alle Schülerinnen und Schüler sollten flächendeckend 1:1 ab Klasse fünf mit digitalen Endgeräten ausgestattet werden. Die Geräte sollen schulgebunden, aber auch zu Hause einsetzbar sein. 

Die Kommission empfiehlt auch Budgetfreiheit für die Schulen. Viele Schulen fühlten sich durch zu enge Vorschriften in ihren pädagogischen Entwicklungen zum Beispiel zur Profilbildung begrenzt. 

Weitere Empfehlungen sind etwa ein spürbarer Bürokratieabbau in Kitas und die Einführung eines Sozialindex auch bei Kindertageseinrichtungen analog zu den Sozialindizes im Schulbereich. Kinder- und Familienministerin Josefine Paul (Grüne) hatte einen Kita-Sozialindex bereits angekündigt. Er soll Auskunft geben, wo besonders viele sozial benachteiligte Kinder in Kitas betreut werden. 

Kein zweigliedriges Schulsystem

Nicht durchsetzen konnte sich die oppositionelle SPD mit ihrem Wunsch nach einem künftig nur noch zweigliedrigem Schulsystem in NRW. In einem Sondervotum empfiehlt die SPD-Fraktion, die weiterführenden Schulformen binnen zehn Jahren auf ein zweigliedriges Modell zu reduzieren. Die Gymnasien und Gesamtschulen sollen demnach als Schulen der Sekundarstufen I und II bestehen bleiben. Haupt-, Sekundar- und Realschulen sollen auf eine Schulform verschmolzen werden.

NRW setzt seit Jahren auf eine mehrere Säulen bei den Schulformen. So wurden ab 2010 etwa Gemeinschaftsschulen und Sekundarschulen eingeführt. Das Nebeneinander der Schulformen wurde in einem Schulkonsens 2011 festgeschrieben. 

Die Zahl der Hauptschulen ging in NRW inzwischen um rund 70 Prozent zurück, die der Förderschulen um fast 30 Prozent und die der Realschulen um mehr als 30 Prozent. Die Anzahl der Gesamtschulen stieg um mehr als 40 Prozent an. Die Zahl der Gymnasien blieb annähernd gleich. 

Lehren aus Bildungsstudien

Die Grünen-Sprecherin in der Enquetekommission, Lena Zingsheim-Zobel, sagte: „Der Abschlussbericht zeigt: Wenn wir Kindern faire Chancen geben wollen, müssen Kita, Schule und Jugendhilfe enger verzahnt werden.“ Es gehe um eine durchgängige Förderung von Anfang an. Perspektivisch werde aber auch eine Diskussion über die Schulstruktur gebraucht. „Denn echtes chancengerechtes Lernen gelingt nur, wenn Kinder länger gemeinsam lernen können.“. Dazu hatten auch die Grünen ein Sondervotum eingebracht.

Für die CDU sagte Sprecher Jonathan Grunwald: „Uns alle eint das Ziel, Bildung in Nordrhein-Westfalen zukunftsfest zu machen.“ Das Land gebe sich mit den Ergebnissen von Bildungsstudien wie PISA und IQB nicht zufrieden und akzeptiere nicht, wenn ein Drittel der Viertklässler die Mindeststandards beim Lesen, Schreiben und Rechnen nicht erreiche. „Wir brauchen einen Bildungsaufbruch, der datenbasiert, fokussiert und technologieoffen ist.“

Enquetekommissionen bestehen aus Mitgliedern der Fraktionen und holen externen Sachverstand ein. Sie legen dem Landtag Berichte und Empfehlungen spätestens bis zum Ende der Wahlperiode vor.