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„Wer auffährt, ist immer schuld“: Stimmt das?

„Wer auffährt, hat Schuld“: Der Satz gilt nach einem Auffahrunfall vor Gericht nicht zwangsläufig. Wer auffährt, muss aber Stichhaltiges vorbringen, um das Gegenteil zu beweisen, zeigt ein Urteil.

07.11.2025

Erst „Quiiieeetsch“ - dann „Bumms“? Ja, so klingt es oft, wenn ein Auto auffährt - über die Schuldfrage gibt es danach oft Streit vor Gericht.Jan Woitas/dpa/dpa-tmn

Erst „Quiiieeetsch“ - dann „Bumms“? Ja, so klingt es oft, wenn ein Auto auffährt - über die Schuldfrage gibt es danach oft Streit vor Gericht.Jan Woitas/dpa/dpa-tmn

© Jan Woitas/dpa/dpa-tmn

Der sogenannte Anscheinsbeweis spricht dafür, dass bei einem Auffahrunfall der Auffahrende für den Crash verantwortlich ist. Etwa, weil der Sicherheitsabstand zu klein oder die Aufmerksamkeit zu gering war.

Der Anscheinsbeweis lässt sich gegebenenfalls entkräften, wenn der Beschuldigte, der aufgefahren ist, etwa Zeugenaussagen oder anderes Entlastendes vorbringen kann. Gelingt dies nicht, bekommt er aber keinen Schadenersatz und haftet voll. Das zeigt eine Entscheidung des Amtsgerichts Mitte in Berlin (Az.: 117 C 213/23 V), auf die die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) hinweist.

Halter eines auffahrenden Autos verklagt die Vorausfahrende

In dem Fall ging es um einen Mann als Halter eines Autos, der Schadenersatz einklagte. Diesen verlangte er von einer Frau, auf deren Auto sein Bruder aufgefahren war. In einer Tempo-30-Zone war sein Bruder hinter der Frau hergefahren. Plötzlich und abrupt habe diese dann abgebremst, weil sie eine Bekannte auf dem Bürgersteig gesichtet habe.

Die Beklagte und deren Versicherung wiesen diesen Vorwurf von sich - mit der Begründung, dass der fahrende Bruder den nötigen Sicherheitsabstand nicht eingehalten habe. Das sei wegen des starken Verkehrs vor Ort mit Fußgängern, Kindern und Radfahrern besonders fahrlässig gewesen. Die Beklagte habe nach einem Parkplatz Ausschau gehalten, was ihre langsame Fahrt erkläre. Die Sache ging vor Gericht.

Zeugen wurden geladen - und wie urteilt das Gericht?

Das stellte klar: Der Kläger als Fahrzeugeigentümer habe grundsätzlich Anspruch auf Schadenersatz. Der Unfall sei aber ganz allein vom Fahrer seines Autos verursacht worden. Das Gericht sah in dem Geschehen einen typischen Auffahrunfall, bei dem der Lebenserfahrung zufolge der Anscheinsbeweis gegen den Aufgefahrenen spreche - speziell, wenn dieser den nötigen Sicherheitsabstand unterschritten habe oder nicht aufmerksam genug gewesen sei.

Hinzu kommt: Der Kläger konnte den Anscheinsbeweis nicht entkräften. Er hatte zwar Zeugen benannt. Diese waren dann aber trotz Ladung nicht vor Gericht erschienen. Auch weitere Aussagen konnten die Richter nicht überzeugen.

Die Kammer stellte vielmehr fest, dass die Situation vor Ort in der Tat ein sehr umsichtiges Fahren erfordert hätte. Dem habe der Bruder des Klägers aber nicht angemessen Rechnung getragen. Dahinter sei auch die Betriebsgefahr des Autos der Frau vollständig zurückgetreten. Der Kläger ging also leer aus.