Panorama

Letzte Etappe für aufwendiges Hochwasserschutz-Projekt

Die Lippe fließt nördlich des Ruhrgebiets meist gemächlich. Doch Unwetter können auch dort gefährlich werden. Ein Hochwasserschutz-Projekt hat Vorbildcharakter.

09.09.2025

Symbolischer Spatenstich: An der Lippe geht das aktuell größte Hochwasserschutzprojekt Nordrhein-Westfalens in die letzte Phase.Fabian Strauch/dpa

Symbolischer Spatenstich: An der Lippe geht das aktuell größte Hochwasserschutzprojekt Nordrhein-Westfalens in die letzte Phase.Fabian Strauch/dpa

© Fabian Strauch/dpa

Starkregen, Unwetterwarnungen, Hochwassergefahr: Es war, als hätte das Wetter zum offiziellen Spatenstich zeigen wollen, weshalb an der Lippe gerade das größte Hochwasserschutzprojekt Nordrhein-Westfalens umgesetzt wird. Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) schickte die Arbeiten am Dienstag auf die Zielgerade. Das Projekt im Norden des Ruhrgebiets soll Vorbildcharakter für den Hochwasserschutz im Land haben.

Seit fast zehn Jahren werden zwischen Haltern am See und Marl Deiche verlegt und Überflutungsgebiete geschaffen. Ziel ist es, die Lippe auf dem knapp vier Kilometer langen Abschnitt zu renaturieren und eine Auenlandschaft zu schaffen. Gleichzeitig sollen die neuen Deiche einem Hochwasser standhalten, wie es statistisch gesehen nur alle 250 Jahre einmal auftritt.

„Auf solche Lösungen kommt es an, wenn wir uns gegen die Folgen des Klimawandels wappnen wollen“, sagte Krischer. „Dieses Projekt setzt Maßstäbe für ganz Nordrhein-Westfalen: Die einzigartige Verbindung aus Hochwasserschutz und ökologischer Flussentwicklung zeigt, wie Synergien intelligent genutzt werden können.“

Deiche allein sind noch kein Hochwasserschutz

Deiche gibt es viele entlang der großen und kleinen Flüsse in Nordrhein-Westfalen. Sie sollen verhindern, dass bei Hochwasser Städte und Dörfer überflutet werden. Doch das Konzept stößt auch angesichts des Klimawandels an Grenzen, denn die Wassermassen bei einem Hochwasser lassen sich nur bedingt aufhalten und lenken.

Beim Bau neuer Hochwasserschutz-Anlagen seien in der Vergangenheit manche Entscheidungen getroffen worden, die sich im Nachhinein „als nicht immer gut und richtig erwiesen haben“, sagte Krischer.

„Dieses Projekt setzt Maßstäbe für ganz Nordrhein-Westfalen“, sagt Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) zur neuen Lippeaue.Fabian Strauch/dpa

„Dieses Projekt setzt Maßstäbe für ganz Nordrhein-Westfalen“, sagt Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) zur neuen Lippeaue.Fabian Strauch/dpa

© Fabian Strauch/dpa

90 Prozent Auengebiete sind verloren gegangen

Tatsächlich brauche Hochwasserschutz neben den Deichen immer noch mindestens eine weitere Komponente, betonte auch Holger Schüttrumpf, Professor für Wasserbau an der Technischen Hochschule Aachen. „Wir brauchen Überschwemmungsgebiete, damit sich ein Hochwasser außerhalb der Städte ausbreiten kann“, erklärte der Experte.

Dass es zu wenige solcher Überflutungsflächen gebe, sei ein großes Problem. „An den großen Flüssen sind in den vergangenen 200 Jahren ungefähr 90 Prozent der Auengebiete verloren gegangen.“ Das zurückzudrehen sei wahnsinnig schwer. „In Deutschland ist jeder Quadratmeter schon irgendwie genutzt. Da entstehen sofort Interessenkonflikte.“

Trotzdem führe auch angesichts des Klimawandels kein Weg daran vorbei, den Flüssen wieder mehr Raum zu geben. „Damit tun wir auch etwas Gutes für Dürrephasen. Denn wenn wir das Wasser einfach nur kanalisieren und wegführen, steht es im Sommer ja auch den Pflanzen nicht zur Verfügung“, betonte der Wissenschaftler. Jede Auenlandschaft sorge hingegen dafür, dass Wasser versickern könne und der Natur zur Verfügung stehe.

Lippeaue schafft Platz für Wasser, Tiere und Pflanzen

Das Projekt an der Lippe bei Marl kombiniere beide Aspekte und das mache den Hochwasserschutz dort besonders, betonte der zuständige Lippeverband. Auf 5,6 Kilometern Länge werden Deiche weiter in das Landesinnere, weg vom Fluss verlegt. Dadurch entstehen Auenlandschaften, ein Lebensraum etwa für Fische und Vögel, erklärte der Vorstandsvorsitzende des Lippeverbandes, Uli Paetzel.

Im Norden der Lippe (im Bild links) sind bereits weite Flächen entstanden, die rund zweimal im Jahr überflutet werden. Im Süden laufen die Arbeiten noch.Rupert Oberhäuser/EGLV/dpa

Im Norden der Lippe (im Bild links) sind bereits weite Flächen entstanden, die rund zweimal im Jahr überflutet werden. Im Süden laufen die Arbeiten noch.Rupert Oberhäuser/EGLV/dpa

© Rupert Oberhäuser/EGLV/dpa

Etwa zweimal im Jahr, bei einem sogenannten halbjährlichen Hochwasser, soll die Fläche komplett überflutet werden und so verhindern, dass das Wasser weiter flussabwärts rauscht und dort die Hochwasserlage womöglich weiter verschärft.

500 Projekte für den Hochwasserschutz

Das Thema Hochwasserschutz ist eine Mammutaufgabe für das Land. Das ist spätestens sei der Flutkatastrophe im Juli 2021 klar, als unter anderem Erft, Ahr und Rur über die Ufer traten, allein in Nordrhein-Westfalen 49 Menschen starben und Schäden in Milliardenhöhe entstanden. Rund 500 Projekte für einen besseren Hochwasserschutz wurden danach angeschoben.

Deiche werden modernisiert und erhöht und Überflutungsgebiete geschaffen. Außerdem sollen neue Pegel dafür sorgen, dass die Menschen rechtzeitig vor einem Hochwasser gewarnt werden können.

Das große Projekt zwischen Marl und Haltern am See soll bis 2027 abgeschlossen sein und rund 95 Millionen Euro kosten. Die Auenlandschaft, die derzeit entsteht, soll auch für Radfahrer und Wanderer ein besonderer Anziehungspunkt sein. Der beliebte Radfernweg Römer-Lippe-Route führt direkt an der neuen Lippeaue vorbei. Eine Aussichtsplattform soll die Radfahrer zu einer Rast einladen.