Hilfe für Polizisten in Krisen - Viele Facetten
Polizisten können schnell in Gefahr geraten. Sie müssen teils schlimme Bilder verarbeiten oder es gibt Probleme im Privatleben. Wer kann ihnen helfen?

Görich-Reinel ist seit mehr als zehn Jahren Polizeiseelsorgerin.Jörg Halisch/dpa
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Sie müssen das Machtmonopol des Staates durchsetzen und sehen sich als Freund und Helfer. Doch nicht selten schlägt ihnen blanker Hass entgegen. Sie werden beschimpft, bespuckt, mit Steinen beworfen, verletzt und im schlimmsten Fall getötet. Fälle wie die in Kusel 2022 und unlängst in Völklingen getöteten Polizisten, die Ausübung des Jobs gegen das eigene Gewissen, etwa bei Abschiebungen, aber auch Privates, belasten die Beamtinnen und Beamten.
Polizeiseelsorge der EKHN übernimmt Begleitung
Hier kommt die Polizeiseelsorge der sich über Teile Hessens und Rheinland-Pfalz erstreckenden Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) ins Spiel. Barbara Görich-Reinel ist seit 2014 Polizeiseelsorgerin der EKHN, seit 2022 ist sie leitende Polizeipfarrerin. Das Spektrum ihrer Arbeit hat viele Facetten. „Es gibt Krisen beruflicher Art, persönlicher Art, Krankheit, Trennung, den Tod von Angehörigen“, sagt die 65-jährige Theologin. Es sei alles, was man in einem Gemeindepfarramt auch kennt.
Man werde auch von Behörden angefragt, wie zum Beispiel nach dem Tod des Polizisten in Völklingen. Da sei es um eine Schweigeminute gegangen. Am 1. Oktober geht Görich-Reinel, die unter anderem auch als Gemeindepfarrerin tätig war, nach bewegten Jahren in den Ruhestand.
Kusel, Völklingen, die Ahrtal-Flut oder die Corona-Pandemie, eine Art wellenförmige Bewegung bei den Anfragen gebe es deswegen nicht, schildert die Pfarrerin ihre Erfahrung. „Ich erlebe nur, dass diese dramatischen, tragischen Ereignisse natürlich eine große Betroffenheit auslösen.“ Es werde einem bewusst, wie gefährlich der Beruf ist, den man als Polizistin oder Polizist ergriffen hat. „Das ist schon die Konfrontation der Realität.“ In der Pandemie habe man sich „ratzfatz“ neue Formate zum Beispiel für den berufsethischen Unterricht der Anwärterinnen und Anwärter überlegen müssen.
Seelsorgearbeit: Aktiv auf die Dienststellen zugehen
„Ich warte jetzt nicht hier, bis jemand mal klingelt oder so. Das ist eine falsche Vorstellung, sondern wir gehen raus und begleiten und dann ergeben sich manchmal Gespräche auch über das, was schon länger zurückliegt“, beschreibt die 65-Jährige zum Beispiel mit Blick auf die Gewaltausbrüche 2017 beim G20-Gipfel in Hamburg oder den Erfahrungen aus der Ahrtal-Flut.
„Ich glaube, dass in der Polizeiseelsorge erstens darum geht, zu verstehen, was der Dienst eigentlich genau beinhaltet und dann genau zuzuhören“, sagt die verheiratete Mutter eines erwachsenen Sohnes. Dazu gebe es dann in der vielfältig aufgestellten Polizei auch Besuche bei Abteilungen, die Kinderpornografie bekämpfen, Mordkommissionen, aber eben auch zum Beispiel die Hundestaffel.
Man habe so Bilder, die sich einprägen. Die Ahrtal-Flut sei sicher ein solches Erlebnis gewesen, bei dem sie auch vor Ort war, bilanziert die Theologin ihre Arbeit. Auch der rassistische Anschlag in Hanau mit neun ermordeten Menschen 2020 sei ein solches Erlebnis gewesen, auch wenn sie gar nicht für den Main-Kinzig-Kreis zuständig sei.
Verbindung von Seelsorge und ethischer Reflexion
Was kann man Polizistinnen und Polizisten raten? Das Erste sei, über das, was passiert ist, zu sprechen, sagt Görich-Reinel. Das Zweite sei, auf sich selbst aufmerksam zu sein. Achtsam sein und dann notfalls auch Hilfe annehmen. Als Drittes wünsche sie sich, dass die Beamten auch kirchliche Rituale wie die Beichte oder einen Segen in Anspruch nehmen. Sie bekomme immer wieder Rückmeldung, dass dies auch befreiend sein kann.
Ihr sei wichtig, dass Seelsorge und Ethik zusammengehören. Es gebe ja auch eine moralische Komponente bei den Beamten. Ein Beispiel: „Was macht das mit Beamten, Beamtinnen, die jemanden abschieben müssen, der zum Beispiel gut integriert ist, vielleicht sogar eine Ausbildung oder einen Beruf oder wie auch immer hat.“ Da komme es schon dazu, dass sie sagen: „Wir schieben hier die falschen ab oder wir machen hier was, was sich schräg anfühlt oder nicht stimmt.“ Und das seien Verwundbarkeiten, die Gewissenskonflikte.
Seelsorgerische Unterstützung können sich Beamte bei den katholischen und evangelischen Kirchen aber nach Angaben des hessischen und des rheinland-pfälzischen Innenministeriums auch bei organisationsinternen Ansprechstellen holen. Statistiken über die Inanspruchnahme von Einzelgesprächen gibt es dem hessischen Ministerium zufolge nicht. „Polizeiseelsorger bieten ihre Unterstützung auf dem Hintergrund ihres Glaubens an, jedoch unabhängig von konfessioneller oder religiöser Bindung der Angehörigen der Polizei“, heißt es in Rheinland-Pfalz. Sie seien bei ihrer Tätigkeit von staatlichen Weisungen unabhängig.
Würdigung durch die Politik
„Die Polizeiseelsorge der christlichen Kirchen ist unverzichtbar“, sagt Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU). Sie würden Polizisten immer wieder Halt und Unterstützung bei ihren wichtigen und nicht selten auch belastenden Tätigkeiten geben. „Besonders hat mich die Mitwirkung der Seelsorger der evangelischen und katholischen Kirchen im Rahmen der jährlichen Gedenkfeier für die im Dienst verstorbenen Polizisten beeindruckt“. Sie würden auch in diesen schweren Stunden Trost und Halt spenden.
Die Polizeiseelsorge der EKHN hat zweieinviertel Stellen. Über die Nachfolge von Görich-Reinel ist nach ihren Angaben noch nicht entschieden. Die Stelle solle aus Gründen der Kostenersparnis auch erst zum Start ins neue Jahr besetzt werden.

Polizisten gedenken erschossenem Kollegen. (Archivbild)Patrick von Frankenberg/dpa
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Die Polizeiseelsorg hat ein eigenes Emblem.Jörg Halisch/dpa
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