Die Sucht kennt kein Weihnachtsfest
Hunderte Drogenabhängige verbringen die Feiertage im Frankfurter Bahnhofsviertel auf der Straße. Der Kreislauf zwischen Konsum und Geldbeschaffung geht immer und immer weiter.
Drogenabhängige im Bahnhofsviertel: Den Tag irgendwie überstehen, auch im Advent.Boris Roessler/dpa
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Es ist kalt in der Moselstraße, die Dämmerung bricht über das Bahnhofsviertel von Frankfurt herein. Im Halbschatten eines Hauseingangs kauert eine Gruppe Männer, nur die flackernden Neonlichter des Sex-Geschäfts gegenüber werfen im Sekundentakt etwas Licht auf ihre Gesichter. Die drängende Suche nach Drogen, dem nächsten Rausch kennt keine Atempause für sie und die anderen Abhängigen im Viertel, auch nicht zur Adventszeit.
Sentimental und keine Familie
Andreas Steinbacher, Sozialarbeiter beim Drogennotdienst, beobachtet rund um die Feiertage dennoch Veränderungen bei den Menschen, die in seine Einrichtung kommen: „Die Leute sind sentimentaler, ihnen fehlt der Kontakt zur Familie.“ Viele seien traurig. „Wir schmücken unsere Räume weihnachtlich, das nimmt jedoch kaum jemand wahr. Unsere Klientel ist zu sehr mit ihrem Alltagsgeschäft befasst: Geld auftreiben, Drogen beschaffen, den Tag überstehen.“ Einen Weihnachtsbaum sucht man in den Räumen vergeblich.
Der Nieselregen draußen auf der Straße mischt sich auf dem Bordstein vor einem Restaurant mit einer Urinlache, in einer Mülltonne ein Rascheln, wohl von einer Ratte. Der Gestank scheint die wenigen Passanten zusätzlich zur Eile anzutreiben, einzig die am Boden hockende Männer und Frauen scheinen ihn nicht mehr wahrzunehmen.
Ein Weihnachtswunsch: Eine saubere Dusche haben.Boris Roessler/dpa
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„Ich hock‘ hier jetzt schon seit mehr als zehn Jahren in diesem Siff, schöner ist es nicht geworden“, nuschelt Ahmad (Name geändert) in seinen grauen Bart, bevor er für zwei Minuten um die Ecke verschwindet um sich bei seinem Dealer einen neuen Crackstein zu besorgen.
Aus der Dunkelheit taucht ein junger Mann auf, der sich erst hinhockt, nachdem er die Umgebung genau nach möglichen Zivilpolizisten abgescannt hat. „Brauchst Du Koks, Crack, ‚ne Frau ?“, will er wissen - eine Frage die er jedem stellen wird, der länger als ein paar Sekunden in der Nähe der Gruppe verharrt.
Durch hektisches Wippen versucht er, sich in seiner dünnen Jeans warmzuhalten. Wo er Weihnachten sein wird? - Routiniert zündet er sich zunächst seine Crackpfeife, der glühende „Stein“ wirft kurz ein oranges Licht auf sein Gesicht. Für zwei Sekunden geht sein Blick nach oben, dann antwortet er: Weihnachten sei ihm „ziemlich egal“, er sei quasi „24/7“ auf der Straße, um irgendwie klarzukommen.
Saubere Dusche als Weihnachtswunsch
Langsam rollt Michaela (Name geändert) im Rollstuhl auf die anderen zu. In Sekundenschnelle wechseln Geld und Ware zwischen ihr und einem Dealer den Besitzer, dann zündet auch sie sich im Sichtschutz der geparkten Autos ihre Pfeife an. „Irgendwann muss man uns ja mal sehen, ein eigenes Bett ohne Krabbelviecher und eine saubere Dusche – das wär schon toll“, nennt sie ihre Wünsche für das neue Jahr.
Wenige Schritte weiter kramt Nelly in einem Karton voll mit Altkleidern. „Ein Geschenk gibt’s auch hier manchmal“, sagt die 37-Jährige grinsend, als sie sich nach und nach durch die wild zusammengewürfelten Klamotten wühlt. Als sie sich ein neues Oberteil anzieht, gibt das fahle Laternenlicht einen kurzen Blick auf ihren ausgemergelten Körper frei. „Ich hab‘ mit 14 angefangen Drogen zu nehmen, mittlerweile bin ich bei Crack und Fentanyl angekommen“.
Fast beiläufig erwähnt sie diverse Gefängnisaufenthalte „wegen Drogen uns so halt“. Bei Fragen nach ihrer Familie wird die gebürtige Gießenerin leiser. Kinder? „Ja, zwei – habe ich beide zur Adoption weggegeben“. Kurz wird sie von der Nacht verschluckt, dann kommt sie mit einem „10er-Streifen“ Fentanyl zurück. Hastig erhitzt sie das Pflaster auf etwas Alufolie und inhaliert den Rauch. „Knallt sofort“, kommentiert sie die Wirkung der Droge. „Hält bloß nicht lange.“
Während sie die Fensterscheibe eines Geschäftes als Spiegel nutzt, um sich Make-up für die kommenden Stunden aufzutragen, denkt sie kurz über ihre Weihnachtswünsche nach. „Frieden. Ganz einfach. Hier bei uns auf der Straße untereinander und sonst auch.“
Im Weggehen schenkt sie Ahmad noch eine Cargohose, die ganz unten in dem schäbigen Karton lag. „Kleine Geschenke wirken hier manchmal Wunder“, sagt sie und entschwindet wieder in der Dunkelheit.
Viele Abhängige verbringen die Feiertage im Frankfurter Bahnhofsviertel auf der Straße.Boris Roessler/dpa
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Fast beiläufig erwähnt Nelly diverse Gefängnisaufenthalte „wegen Drogen und so halt“.Boris Roessler/dpa
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Bei Fragen nach ihrer Familie wird die gebürtige Gießenerin Nelly leiser.Boris Roessler/dpa
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